Printed 02.07.2022 02:03 17-01-2018 Strahinja Bućan
Von Zigeunerpogromen zu Hass im Netz – Diskriminierung hat in den letzten
Jahren ihr Gesicht verändert.
„In den 1990er Jahren gab es mehrere Dutzend Morde, die rassistisch motiviert waren oder aus Rassenhass geschehen sind. Wie viele genau es waren, das ist schwer zu sagen. Beispielsweise die Polizei hat darüber keine genauen Statistiken. Schätzungen gehen aber von rund 30 Morden in dieser Zeit aus.“ Wie kommt es aber gerade in den 1990er Jahren zu einer solchen Welle des Hasses, während die neue politische Führung Liebe, Wahrheit und Anstand predigt?
Laut Daniel kam es in der westböhmischen Kleinstadt Klatovy / Klattau zum ersten folgenreichen Pogrom nach der Wende auf tschechischem Boden. Im Februar 1990 belagerte ein wütender Mob über drei Tage lang das Haus einer Roma-Familie. Am Ende stürmten die Angreifer das Gebäude. Ein 21-jähriger Mann starb, viele weitere Menschen wurden verletzt. Wie auch andere Fälle wurde dieser aber nicht unbedingt als Fall rassistischer Gewalt wahrgenommen, oft unterstellte man den Beteiligten eher kriminelle Hintergründe und Bandenkriminalität.
„Die Lage ist irgendwann außer Kontrolle geraten, und die Straßen Prags waren auf einmal voll von wütenden und testosterongeladenen jungen Männern. Die Hölle haben sie hier nicht veranstaltet, aber sie haben dunkelhäutigen Menschen klar gezeigt, dass sie in der Stadt nichts zu suchen hätten. Unter den vielen Opfern dieser Ausschreitungen war auch ein afro-amerikanischer Mitarbeiter der kanadischen Botschaft.“
„Der Rassismus lebte auch in der Folgezeit weiter, wenn auch irgendwo unter dem Deckel. Alles brach dann im Jahr 2008 wieder auf, als es zu Pogromen und Brandanschlägen auf Roma in Janov und Vítkov kam. Von da an kann man eigentlich von einem Wiedererstarken der rechtsradikalen Szene sprechen. Die Lage hat sich also nicht wirklich beruhigt. Vor allem zu Zeiten der Wirtschaftskrise ist es häufig zu Demonstrationen und Gewalttaten gegen Roma gekommen. Und daran beteiligten sich nicht nur Extremisten, sondern auch einfache Bürger der sozialen Brennpunkte in Tschechien.“
„Als wir eine Analyse zu dem Thema durchgeführt haben, war ich am Ende selbst überrascht. Morddrohungen oder Hasskommentare gab es unerwartet viele im tschechischen Internet, und sie sind durchaus Normalität hierzulande.“ Bei der Auswertung der Daten sind die Analysten um Kwolek auf vor allem einen interessanten Zusammenhang gestoßen. Bei jedem Terroranschlag der vergangenen Jahre in Europa ist hierzulande die Zahl von Hasskommentaren gegen beispielsweise Muslime explodiert. Im europäischen Vergleich schneidet Tschechien nicht gut ab, was Drohungen und rassistische Beschimpfungen im Internet angeht: „Zwar haben wir keinen internationalen Vergleich gemacht, aber ich gehe davon aus, dass es in anderen Ländern nicht anders ist. Hasskommentare im Internet sind keine Spezialität eines bestimmten Landes. Wenn wir beispielsweise Tschechien mit Deutschland vergleichen, dann liegt die Zahl der Drohungen in Relation gesehen trotzdem etwas höher.“
„Es ist deutlich zu sehen, dass es weniger Hasskommentare im Internet gibt, die Kurve zeigt langfristig nach unten. Das muss aber nicht daran liegen, dass solche Meinungen in der Gesellschaft abgenommen haben. Vielmehr sind die Betreiber von Diskussionsplattformen im Netz schneller geworden beim Löschen.“ Wie sieht aber ein Netz-Nazi aus, und ist er überhaupt noch mit einem rechtsradikalen Skinhead aus 1990er Jahren vergleichbar? Zumindest das Vokabular hat sich deutlich geändert. Dazu Historiker Ondrej Daniel:
Für Ondrej Daniel besteht heutzutage vor allem ein großes Problem – Rassismus ist nicht mehr als solcher zu erkennen und versteckt sich hinter ganz anderen Begriffen: „Man kann sich jetzt hinter den Schlagwörtern verstecken, wie beispielsweise die Verteidigung sogenannter tschechischer Werte. Gerade das führt aber zu absurden Situationen, denn kein Mensch kann definieren, was diese tschechischen Werte eigentlich sind. Darin kann sich schließlich jeder wiederfinden, ob er nun eher religiös oder säkular eingestellt ist.“
Aber, kann die tschechische Gesellschaft den Rassismus irgendwann überwinden? Der Historiker Daniel ist da eher skeptisch: „Starke Stimmungen gegen Migranten und Moslems, sowie in einigen Teilen der Gesellschaft gegen Russen, sind vorhanden. Es scheint also durchaus so, als könnten sich die gewalttätigen 1990er Jahre wiederholen. Gottseidank ist es bisher aber noch nicht dazu gekommen, dass die verbale Gewalt in physische umschlägt und vielleicht sogar zum Mord führt.“ Copyright © Radio Praha, 1996 - 2003 |