Article from http://www.romove.cz Printed 08.06.2023 07:01
Leben ohne Perspektive: In Tschechien gibt es über 300 Roma-Armenviertel 07-09-2006 Silja Schultheis
90-100 Prozent Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Drogensucht, Prostitution -
den Bewohnern der Roma-Armenviertel in Tschechien fehlt jegliche
Perspektive. Mehr als 300 solcher Viertel haben sich größtenteils
innerhalb der letzten zehn Jahre an vielen Orten in der Tschechischen
Republik gebildet, insgesamt etwa 80.000 Roma leben hier. Das geht aus
einer jetzt veröffentlichten Studie hervor, die das tschechische
Ministerium für Arbeit und Soziales in Auftrag gegeben hat.
Es sind regelrechte Roma-Enklaven, die an immer mehr Orten in Tschechien
entstehen - das genaue Gegenteil von dem, was tschechische
Regierungspolitiker seit dem EU-Beitritt verstärkt zu ihrem Ziel erklären:
der Integration der Roma-Minderheit. Doch diese Integration scheitert
häufig auf lokaler Ebene. Viele Gemeinden probieren, mit der Isolierung
der Roma auch die mit ihnen verbundenen Probleme wegzuisolieren. Dass die
Roma-Viertel zu den akuten sozialen Brennpunkten Tschechiens zählen, war
nie ein Geheimnis. Doch wie das Leben dort tatsächlich aussieht, darüber
kursierten bislang nur Mutmaßungen, sagt der Soziologe Ivan Gabal.
Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern von der Gesellschaft GAC hat er jetzt
erstmals eine detaillierte Analyse über die tschechischen Roma-Viertel
vorgelegt:
"Hier herrschte sozusagen ein Informations-Blackout. 10-15 Jahre lang
haben wir überhaupt nicht gewusst, wie viele Armenviertel es hier gibt, wie
viele Roma dort leben. Es gab einzelne Studien, aber wir hatten keinen
Überblick über die Gesamtsituation. Heute kennen wir sie. Heute kann
niemand mehr sagen: Ich weiß nichts über die Ausmaße dieses Problems.
Heute muss jeder sagen: Ja, lasst uns anfangen, eine optimale Lösung dafür
zu suchen."
Bestandteil der Studie ist eine Karte mit allen Armenvierteln, die GAC in
Tschechien ermittelt hat, einer genauen Beschreibung der dort herrschenden
Bedingungen und einer ganzen Liste von humanitären Organisationen, die
bereits vor Ort tätig sind, sowie weiteren Ansprechpartnern. Man wolle den
betroffenen Gemeinden ganz konkrete Hilfe leisten, betont Martin Zarsky vom
Arbeitsministerium:
"Wir wollen den Gemeinden aufzeigen, wie viel Geld Maßnahmen zur
Verbesserung der Situation kosten würden, welche Organisationen hier
helfen können, welche personellen und finanziellen Mittel man bräuchte.
Wir wollen keine Arbeitsgruppe aus irgendwelchen Ministerialbeamten
bilden, sondern einen systematischen Plan entwickeln, der wirklich zu den
einzelnen Gemeinden durchdringt und ihnen konkrete Angebote macht, wie sie
einen Ausweg aus dieser schwierigen Situation finden können."
Dieser Ausweg ist ein langfristiges Ziel. Selbst wenn man die Situation in
den Armenvierteln ganz gezielt und quasi ab sofort in Angriff nehmen würde,
müsste man mit einem zeitlichen Horizont von 30-40 Jahren rechnen, schätzt
Ivan Gabal. Doch zunächst will sich das Arbeitsministerium auf die Jahre
2007-2013 konzentrieren. Das nämlich ist die Laufzeit der nächsten
Fördermaßnahmen des Europäischen Sozialfonds, dessen Mittel das
tschechische Arbeitsministerium effektiv zur Verbesserung der
Roma-Situation nutzen will.
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