Die Situation der Roma nach 1989
26-02-2000
Der November 1989 brachte der tschechischen Gesellschaft, wie auch den
Roma, einen einschneidenden Umschwung. Ein Teil der Roma begann, die
eigene Identität zu suchen und die eigene Kultur zu entwickeln.
Periodika der Roma begannen zu erscheinen, Originalwerke der
Roma-Literatur, und die Roma begannen als eigenständige ethnische
Minderheit zu gelten, die ein Anrecht auf Bildung in ihrer Sprache habe.
Die Entwicklung seit 1989 hat jedoch auch ihre andere Seite - hohe
Arbeitslosigkeit der Roma-Bevölkerung (als Folge ihrer schlechteren
Qualifikation sowie andauernder Vorurteile seitens einiger Arbeitgeber),
Verlust der bisherigen sozialen Sicherheit, mit welcher der
sozialistische Staat die Gefügsamkeit der Roma sichergestellt hatte (wie
auch der übrigen tschechischen Gesellschaft), und vor allem ein enormes
Anwachsen physischer Gewalt gegen die Roma.
Die neu errungene Freiheit nach den Umwälzungen des Novembers 1989
änderte auch die Position der Roma-Minderheit. Erstmals in der
Geschichte der Tschechoslowakei erhielten die Roma den Status einer
nationalen Minderheit zuerkannt, und damit auch die mit diesem Status
verbundenen Rechte: Das Recht auf Bildung in der Muttersprache, das
Recht auf die Förderung der eigenen Kultur, das Recht auf die
Verbreitung und den Zugang zu Informationen in der Muttersprache, das
Recht des Gebrauchs der Muttersprache im amtlichen Verkehr, das Recht
auf Vereinigungen auf dem Prinzip der Nationalität, das Recht auf
Beteiligung von Minderheitenvertretern bei der Behandlung von
Angelegenheiten, die diese Minderheit betreffen.
Nach dem November 1989 konnten damit Organisationen und Vereine der Roma
entstehen, die ausser einer kurzen Periode von 1969 bis 1973, als der
Verband der Roma-Zigeuner bestand, nicht existierten. In den ersten
freien Wahlen kandidierte die Roma-Bürgerinitiative als erste politische
Partei der Roma ins Parlament. Im Parlament erschienen letztlich elf
Abgeordnete der Roma, die auf den Listen verschiedener politischer
Parteien gewählt worden waren.
Nach den Parlamentswahlen von 1992 befand sich nur noch ein Abgeordneter
mit Zugehörigkeit zur Roma-Minderheit im Parlament, der auf der Liste
des Linken Blocks gewählt worden war. Anfang 1994 waren beim
Innenministerium mehr als 30 Bürgervereine der Roma registriert, ferner
zwei politische Parteien bzw. Bewegungen. Beachtung erlangten der
Demokratische Verband der Roma, die Roma-Bürgerinitiative und die
Bürgervereinigung für Kultur und Presse der Roma.
Keine dieser Organisationen hat bisher grundsätzlichen Einfluss auf die
Roma-Kommunität als Ganzes gewonnen und kann deshalb auch nicht
wirkungsvoll die Forderungen und Interessen der Roma als nationaler
Minderheit vertreten. Dies hat seinen Grund darin, dass die neu
entstandenen Vereinigungen keine feste Organisationsstruktur haben, da
sie auf Sippenverbänden aufgebaut sind. Ihre Tätigkeit ist deshalb durch
Konflikte zwischen den einzelnen Führungspersönlichkeiten der Roma
gekennzeichnet. Dies beweist, dass sich die Roma nicht als kompakte
Kommunität empfinden, sondern sich vor allem nach Sippenzugehörigkeit
aufgliedern.
Die Interessen der nationalen Minderheiten, das heisst auch der Roma,
vertritt auf amtlicher Ebene der Nationalitätenrat der tschechischen
Regierung, der ein beratendes Organ ohne exekutive Vollmachten ist. In
diesem Rat sind neben Vertretern der Ministerien, des Parlaments und der
Präsidialkanzlei auch Delegierte der nationalen Minderheiten präsent.
Auf dieser Basis wird versucht, Lösungen im Bereich der
Nationalitätenpolitik zu finden.
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