„Frauen im Feld“ /Neuer Dokumentarfilm über die Lebenswirklichkeit
tschechischer Roma-Frauen
In unserer Sendereihe Forum Gesellschaft stellen wir Ihnen heute einen
neuen Dokumentarfilm über die Lebenswirklichkeit tschechischer Roma-Frauen
vor. „Frauen im Feld“ – so der Titel des Films – zeigt drei Frauen,
die ihren von traditionellen Gender-Klischees und sozialem Ausschluss
geprägten Weg verlassen. Drei Ausnahmen, durch die man auch viel erfährt
über die ‚Regel’, über die Lebenswirklichkeit ‚normaler’
Roma(frauen) in Tschechien, über fehlende Integration und die Wichtigkeit
von Bildung. Der Film hatte letzte Woche auf dem Roma-Festival Khamoro
Premiere. Silja Schultheis hat ihn sich für uns angesehen und nach der
Premiere mit den Protagonistinnen gesprochen.
Beifall für den neuen Dokumentarfilm von Markéta Nešlehová. Es ist ein
Film, der nahe geht – durch die einfühlsame und trotzdem ungeschminkte
Darstellung der Lebenswirklichkeit tschechischer Roma – und durch seine
starken Protagonistinnen. Am Beispiel dreier Roma-Frauen geht die
Regisseurin Fragen auf den Grund, die in Tschechien seit Jahren diskutiert
werden, ohne Ergebnis: Was sind die Gründe dafür, dass immer mehr Roma in
den Teufelskreis von schlechten Bildungschancen, Arbeitslosigkeit,
Verschuldung geraten? Und wo ist nach Lösungen zu suchen?
„Die Politik ist hoffnungslos und die gesellschaftliche Realität auch.
Wo lässt sich leichter etwas verändern?“
fragt die 29jährige Sozialarbeiterin Denisa, eine der drei
Protagonistinnen, am Ende des Films. Sie selbst hat die Erfahrung gemacht:
Ohne politischen Willen sind letztlich keine Veränderungen möglich.
Denisa möchte deshalb in die Politik gehen – bestärkt durch mehrere
Kurse und Seminare zur politischen Bildung - alles im Rahmen eines
gemeinsamen Projektes der Heinrich-Böll-Stiftung Prag, der
Roma-Frauenorganisation Manushe/Slovo 21 und der Roma-NGO Athinganoi. Ziel
des Projektes: Roma-Frauen konkrete Bildungsangebote zu machen, damit sie
sich selbst aus ihrer sozialen Situation befreien und andere zu einem
ähnlichen Schritt motivieren können. Eva van de Rakt, Leiterin des Prager
Heinrich-Böll-Büros:
„Es fehlt eigentlich der Hunger nach Bildung. Und ich glaube, das haben
die Frauen sehr gut klargemacht, dass es darauf ankommt, eben auch diesen
Hunger nach Bildung zu wecken. Und ich finde es sehr beeindruckend, wie es
diesen Frauen gelingt, in ihrer alltäglichen Arbeit in den sozial
ausgegrenzten Gebieten Menschen zu motivieren, kleine Schritte weiter zu
gehen und vor allem auch Kinder einzubinden in das Schulprogramm und auch
Eltern davon zu überzeugen, dass es ganz wichtig ist, dass ihre Kinder in
die Schule gehen.“
Autorin: Kleine Schritte zu gehen, immer wieder an Grenzen zu stoßen und
trotzdem nicht aufzugeben – das verkörpern die drei
Hauptprotagonistinnen. Für alle ist Bildung ein ganz entscheidender
Schlüssel zur Integration - und alle drei haben einen extremen Ehrgeiz und
inneren Antrieb, einen anderen Weg zu gehen als den durch Familie,
Tradition und soziales Umfeld vorgezeichneten.
„Eigentlich hätte ich zuhause bleiben sollen, mich um mein Kind
kümmern“, sagt Aurélie, 37, heute Sozialarbeiterin. „Aber das Kind
wird langsam größer und ich will nicht immer nur am Herd stehen. Ich
brauche eine Aufgabe. Und so hab ich entschieden: Wenn der Kleine in die
erste Klasse kommt, dann fang ich an, etwas für mich zu tun.“
Autorin: Etwas für sich tun – das bedeutete zunächst einen radikalen
Strich zu ziehen unter ihr bisheriges Leben. Ohne die Scheidung und den
Bruch mit fest verankerten Gender-Klischees, sagt Aurélie, hätte sie die
Ausbildung zur Sozialarbeiterin niemals geschafft. Jetzt will sie auch
andere dazu motivieren:
„Wenn ich als Sozialarbeiterin in den Roma-Ghettos unterwegs bin, dann
denke ich: wenn ich es geschafft habe, dann können sie es auch schaffen.
Es braucht nur Zeit – manchmal brauchen die Menschen einen Spiegel – um
klarer zu sehen. Und wenn man ihnen den Spiegel richtig hinhält, kann das
ja auch motivieren. Ich glaube, dieser Film ist eine perfekte Motivation.
Und Motivation ist sehr wichtig.“
Autorin: Andere zu motivieren, Multiplikator zu sein – ein wichtiger
Antrieb auch für die dritte Protagonistin Lucie Horváthová, die in die
Politik gegangen ist, zu den tschechischen Grünen.
„Roma-Frauen haben ein enormes Potenzial – sie können der
Gesellschaft unheimlich viel anbieten – nicht nur den übrigen Roma,
sondern auch der Mehrheitsgesellschaft.“
Vorausgesetzt, die Mehrheitsgesellschaft ist offen dafür – noch sind
die Tschechen Lichtjahre entfernt von einer multikulturellen Gesellschaft.
Alle Diskussionen um Roma-Integration verlaufen daher bisher in einer
Einbahnstraße, beobachtet Eva van de Rakt von der Prager
Heinrich-Böll-Stiftung:
„Wenn wir zum Beispiel über das Thema inklusive Bildung sprechen, dann
ist es hier sehr auffallend, finde ich, dass immer von den Vorteilen der
inklusiven Bildung für die Roma-Minderheit gesprochen wird. Es wird
überhaupt nicht darüber gesprochen oder argumentiert, dass inklusive
Bildung ja auch für die Mehrheitsbevölkerung eine Bereicherung ist. Und
da, denke ich, muss noch sehr sehr viel geschehen, weil Erfolge meines
Erachtens erst möglich sind, wenn die Mehrheitsbevölkerung versteht, dass
es auch in ihrem Interesse ist, dass man die Roma-Mitbürgerinnen und
Mitbürger integriert.“
Autorin: Die wenigen Schritte, die auf politischer Ebene bislang dazu
unternommen wurden, seien fadenscheinig, meint Aurélie:
„Die Politiker integrieren uns Roma unheimlich gerne – aber nur auf
dem Papier. Sie interessieren sich nur für unsere Probleme, wenn es für
sie opportun ist, ganz eigennützig. Und wenn es das nicht ist, dann sehen
sie unsere Bedürfnisse gar nicht. Deshalb kommt die Integration nicht
voran.“
Besonders augenfällig: Die Diskussion um so genannte inklusive Bildung
– das heißt um ein Bildungssystem, das Roma-Kinder nicht mehr kollektiv
auf Sonderschulen abschiebt, sondern sie in das tschechische Schulwesen
integriert. Inklusive Bildung – das sollte das Flagschiff des
tschechischen Vorsitzes der europäischen Roma-Dekade sein. Ende Juni endet
der tschechische Vorsitz, passiert ist bislang de facto nichts. Noch immer
geht die überwiegende Mehrheit der Roma-Schüler – laut jüngsten
Angaben der von der Regierung geförderten Agentur für
Roma-Angelegenheiten etwa 25.000 – auf Sonderschulen. Fast noch schlimmer
ist, dass viele Roma-Vertreter ihre Beteiligung an dem so genannten
Aktionsplan für inklusive Bildung zurückgezogen haben – aus Frust
darüber, dass unter dem neuen Schulminister Josef Dobeš alle Ansätze
seines Vorgängers Ondřej Liška fallengelassen wurden.
Neben dem frustrierenden Gefühl, dass sich seit 1989 eigentlich kaum
etwas verändert hat auf dem Weg der Roma-Integration, stimmt der Film aber
auch optimistisch: Es gibt sie, die Ausnahmen, die Vorbilder, die diesen
Weg ebnen helfen. Aurélie:
„Manchmal ist die Idee wichtiger als alles andere – es braucht nur
Zeit und mehr Leute, die das nicht als ihre Mission sehen.“
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