Verdrängt und geleugnet: das Schicksal der Roma
In Prag wurde eine Ausstellung über den Völkermord an den Sinti und Roma
eröffnet.
Am Sonntag wurde in Prag das internationale Festival der Roma-Kultur
„Khamoro“ eröffnet. Auf dem Programm stehen Konzerte,
Theatervorstellungen und Diskussionen, aber auch Ausstellungen. Und eine
davon zeigt den nationalsozialistischen Völkermord an den Sinti und Roma.
Die Schau wurde vom Dokumentations- und Kulturzentrum der deutschen Sinti
und Roma zusammengestellt.
Mit einer Lesung und Musik wurde die Vernissage umrahmt. Die Ausstellung
zeigt unter anderem Fotografien von Roma aus Familienalben, und zwar aus
der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Ihnen sind offizielle Dokumente
entgegengesetzt. Diese belegen die Entrechtung der Minderheit im Deutschen
Reich sowie die Vernichtung von Sinti und Roma in dem von den
Nationalsozialistischen besetzten Europa.
Romani Rose ist Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma. Er
leitet auch das Dokumentationszentrum, das die Ausstellung zusammengestellt
hat. In seiner Eröffnungsansprache erinnerte er daran, dass die
Bevölkerung in Europa immer noch zu wenig über den Völkermord an den
Sinti und Roma wisse. Romani Rose lobte die vergangene tschechische
Regierung dafür, dass sie die Schweinmastfarm im südböhmischen Lety
aufgekauft hat. Der Betrieb hatte sich an jenem Ort befunden, an dem
während der nationalsozialistischen Besetzung ein KZ für Roma
eingerichtet wurde. Der Bürgeraktivist erklärte:
„Der Antiziganismus genauso wie der Antisemitismus richten sich zuerst
gegen die Minderheit. Im Kern zielen sie jedoch auf die Zerstörung unserer
europäischen Werte. Darum danke ich der tschechischen Regierung
ausdrücklich dafür, dass der blamable Zustand von Lety gelöst wurde.
Damit wird die Grundlage gelegt für einen würdigen Ort des Gedenkens an
den Holocaust an den Sinti und Roma. Im Namen des Dokumentations- und
Kulturzentrums deutscher Sinti und Roma möchte ich der tschechischen
Regierung und allen beteiligten Organisationen unsere volle Unterstützung
bei der Planung der Gedenkstätte zusichern.“
Im April dieses Jahres hat das Museum für Roma-Kultur das Gelände in Lety
übernommen. Historikern zufolge sind im früheren KZ-Lager dort insgesamt
327 tschechische Roma ums Leben gekommen. Mehr als 500 weitere wurden nach
Auschwitz verschleppt und dort umgebracht.
Die Ausstellung mit dem Titel „Rassendiagnose: Zigeuner“ dokumentiert
nicht nur den Roma-Holocaust. Sie erinnere auch an die 600- bis
700-jährige Geschichte der Sinti und Roma in Europa, sagte Romani Rose
gegenüber Radio Prag.
„Sie zeigt, dass Sinti und Roma in ihren Ländern integriert waren als
Arbeiter, Angestellte, Akademiker und Künstler. Es gibt viele Bilder, sie
Angehörige unserer Minderheit in den kaiserlichen Armeen zeigen, oftmals
mit hohen Auszeichnungen. Und diese Normalität, die aufgrund der
600-jährigen Geschichte gewachsen ist, wurde mit dem Machtantritt der
Nationalsozialisten beendet. Die Leute wurden diffamiert, kriminalisiert,
erfasst. Schließlich wurden sie deportiert und in den Konzentrationslagern
ermordet. Damit ist ein Bruch in der langen Geschichte unserer Minderheit
eingetreten. Dieser Teil der deutschen und der europäischen Historie ist
über viele Jahrzehnte hinweg verdrängt, vergessen und geleugnet worden.
Der Holocaust an 500.000 Sinti und Roma galt mehr oder weniger als
Anhängsel der Shoah. Erst 1982 hat ein deutscher Bundeskanzler aufgrund
der Bürgerrechtsarbeit der Minderheit selbst, die protestiert hat, den
Völkermord völkerrechtlich anerkannt und sein Bedauern ausgedrückt. Wir
wollen mit der Ausstellung deutlich machen, dass unsere Minderheit in ihren
Heimatländern bereits seit 600 Jahren lebt, aber die Diskriminierung und
der Rassismus immer noch sehr massiv sind.“
Am Ende geht die Ausstellung auch auf die Menschenrechtslage von Sinti und
Roma in den zurückliegenden Jahren ein. Man erlebe in osteuropäischen
Ländern eine neue Form von Apartheid, erklärt Romani Rose:
„Die Leute werden in die Perspektivlosigkeit abgeschoben, weil sie ihre
Arbeitsplätze verloren haben. Damit können sie ihren Lebensunterhalt
nicht mehr zahlen. In vielen osteuropäischen Ländern sind in der Folge
Ghettos entstanden. Das ist nicht nur angesichts der Erfahrung des
Nationalsozialismus beschämend, sondern auch vor dem Hintergrund
menschlicher Werte: den Menschenrechten, Individualrechten und den Rechten,
dass niemand wegen seiner Hautfarbe oder seiner Herkunft benachteiligt
werden darf.“
Romani Rose zufolge sind die Roma heute in Europa in verschiedenen
Berufssparten vertreten.
„Aber sie haben mit ihrer Identität gegenüber dem Rassismus, der sich
wieder gegen die Abstammung richtet, keine Chance, gleichberechtigt in der
Gesellschaft zu leben. Wir müssen den Antiziganismus genauso ächten, wie
wir den Antisemitismus ächten. Wenn wir das nicht tun, dann sind wir in
unserer Handlungsweise in Anbetracht der Geschichte des Nationalsozialismus
mit seiner Rassenideologie unglaubwürdig.“
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