Rassenhass – salonfähig seit 1990?
Von Zigeunerpogromen zu Hass im Netz – Diskriminierung hat in den letzten
Jahren ihr Gesicht verändert.
Die 1990er Jahre stehen in Tschechien nicht nur im Zeichen von Demokratie
und Freiheit. Nach der Wende kommt es zu zahlreichen Pogromen und
Straftaten vor allem gegen Roma und Menschen anderer Hautfarbe. Der
Historiker Ondřej Daniel beschäftigt sich mit Subkulturen und
Alltagsgeschichte in Tschechien:
„In den 1990er Jahren gab es mehrere Dutzend Morde, die rassistisch
motiviert waren oder aus Rassenhass geschehen sind. Wie viele genau es
waren, das ist schwer zu sagen. Beispielsweise die Polizei hat darüber
keine genauen Statistiken. Schätzungen gehen aber von rund 30 Morden in
dieser Zeit aus.“
Wie kommt es aber gerade in den 1990er Jahren zu einer solchen Welle des
Hasses, während die neue politische Führung Liebe, Wahrheit und Anstand
predigt?
„Viele Historiker haben die Tendenz, die 1990er Jahre als Ära der
Unschuld zu sehen. Ich bin da aber anderer Meinung. Denn viele negative
Tendenzen in unserer Gesellschaft haben ihre Wurzeln in dieser Zeit und in
der Transformation vom Sozialismus. Erst in den 1990er Jahren waren
rassistische Exzesse möglich, und es kam häufig auch dazu. Zwar hatte die
tschechische Gesellschaft nie einen großen Hang zu Gewalt, und viele
Konflikte versuchte man auf friedlichem Weg zu lösen. Doch damals war die
Hemmschwelle für Gewalt viel niedriger, und die 1990er Jahre waren einfach
viel gewalttätiger.“
Laut Daniel kam es in der westböhmischen Kleinstadt Klatovy / Klattau zum
ersten folgenreichen Pogrom nach der Wende auf tschechischem Boden. Im
Februar 1990 belagerte ein wütender Mob über drei Tage lang das Haus
einer Roma-Familie. Am Ende stürmten die Angreifer das Gebäude. Ein
21-jähriger Mann starb, viele weitere Menschen wurden verletzt. Wie auch
andere Fälle wurde dieser aber nicht unbedingt als Fall rassistischer
Gewalt wahrgenommen, oft unterstellte man den Beteiligten eher kriminelle
Hintergründe und Bandenkriminalität.
Im April desselben Jahres wurde man sich der Gefahr rassistischer Gewalt
bewusster, vor allem da sie internationale Ausmaße annahm. Und zwar nach
einem Konzert der Rechtsrock-Band Orlík in Prag:
„Die Lage ist irgendwann außer Kontrolle geraten, und die Straßen Prags
waren auf einmal voll von wütenden und testosterongeladenen jungen
Männern. Die Hölle haben sie hier nicht veranstaltet, aber sie haben
dunkelhäutigen Menschen klar gezeigt, dass sie in der Stadt nichts zu
suchen hätten. Unter den vielen Opfern dieser Ausschreitungen war auch ein
afro-amerikanischer Mitarbeiter der kanadischen Botschaft.“
Laut Daniel ließen diese Spannungen in der tschechischen Gesellschaft
besonders ab 1997 nach. Zuvor war in Prag ein sudanesischer Student aus
fremdenfeindlichen Motiven ermordet worden, und das Problem wurde erstmals
öffentlich diskutiert. Es kam auch zu ersten großen Demonstrationen gegen
rechte Gewalt. Diese war danach jedoch noch lange nicht Geschichte, genauso
wenig wie der Rechtsradikalismus an sich:
„Der Rassismus lebte auch in der Folgezeit weiter, wenn auch irgendwo
unter dem Deckel. Alles brach dann im Jahr 2008 wieder auf, als es zu
Pogromen und Brandanschlägen auf Roma in Janov und Vítkov kam. Von da an
kann man eigentlich von einem Wiedererstarken der rechtsradikalen Szene
sprechen. Die Lage hat sich also nicht wirklich beruhigt. Vor allem zu
Zeiten der Wirtschaftskrise ist es häufig zu Demonstrationen und
Gewalttaten gegen Roma gekommen. Und daran beteiligten sich nicht nur
Extremisten, sondern auch einfache Bürger der sozialen Brennpunkte in
Tschechien.“
Heute hat sich der Rassenhass von der Straße ins Netz verlagert.
Medienwirksam war der Fall um den Sänger Radek Banga, einen Rom, der unter
anderem unter dem Namen Gypsy.cz auftritt. Ende 2016 bekam er Morddrohungen
über Facebook. Der Autor der Hetzkommentare wurde nun zu einer
Bewährungsstrafe verurteilt, es war eine Premiere in Tschechien. Jiri
Kwolek analysiert für das Dateninstitut GoodMentions den Hass in sozialen
Netzwerken:
„Als wir eine Analyse zu dem Thema durchgeführt haben, war ich am Ende
selbst überrascht. Morddrohungen oder Hasskommentare gab es unerwartet
viele im tschechischen Internet, und sie sind durchaus Normalität
hierzulande.“
Bei der Auswertung der Daten sind die Analysten um Kwolek auf vor allem
einen interessanten Zusammenhang gestoßen. Bei jedem Terroranschlag der
vergangenen Jahre in Europa ist hierzulande die Zahl von Hasskommentaren
gegen beispielsweise Muslime explodiert.
Im europäischen Vergleich schneidet Tschechien nicht gut ab, was Drohungen
und rassistische Beschimpfungen im Internet angeht:
„Zwar haben wir keinen internationalen Vergleich gemacht, aber ich gehe
davon aus, dass es in anderen Ländern nicht anders ist. Hasskommentare im
Internet sind keine Spezialität eines bestimmten Landes. Wenn wir
beispielsweise Tschechien mit Deutschland vergleichen, dann liegt die Zahl
der Drohungen in Relation gesehen trotzdem etwas höher.“
In Deutschland ist am 1. Januar ein umstrittenes Gesetz in Kraft getreten,
dass Hasskommentare in sozialen Netzwerken unterbinden soll. Facebook,
Twitter und andere müssen die Texte löschen, sonst drohen saftige
Geldstrafen. Auch in Tschechien regulieren Anbieter die Hasskommentare
mittlerweile auf ihren Seiten. Laut Jiri Kwolek ist das eine positive
Entwicklung:
„Es ist deutlich zu sehen, dass es weniger Hasskommentare im Internet
gibt, die Kurve zeigt langfristig nach unten. Das muss aber nicht daran
liegen, dass solche Meinungen in der Gesellschaft abgenommen haben.
Vielmehr sind die Betreiber von Diskussionsplattformen im Netz schneller
geworden beim Löschen.“
Wie sieht aber ein Netz-Nazi aus, und ist er überhaupt noch mit einem
rechtsradikalen Skinhead aus 1990er Jahren vergleichbar? Zumindest das
Vokabular hat sich deutlich geändert. Dazu Historiker Ondrej Daniel:
„Wahr ist, dass viele Leute, die im Netz beispielsweise gegen Roma
hetzen, nie im Leben einen Mord begehen würden. Das bleibt eine Schwelle,
die nicht überschritten wird. Zwar sind verbale und latente Gewalt weit
verbreitet, physische Gewalt geht jedoch weiterhin nur von verschiedenen
Subkulturen und kriminellen Organisationen aus.“
Für Ondrej Daniel besteht heutzutage vor allem ein großes Problem –
Rassismus ist nicht mehr als solcher zu erkennen und versteckt sich hinter
ganz anderen Begriffen:
„Man kann sich jetzt hinter den Schlagwörtern verstecken, wie
beispielsweise die Verteidigung sogenannter tschechischer Werte. Gerade das
führt aber zu absurden Situationen, denn kein Mensch kann definieren, was
diese tschechischen Werte eigentlich sind. Darin kann sich schließlich
jeder wiederfinden, ob er nun eher religiös oder säkular eingestellt
ist.“
Deutlich wurde dies vor allem vor den Parlamentswahlen im Oktober
vergangenen Jahres. Klar hinter sogenannte tschechische Werte stellten sich
die Parteien des rechten Randes, am erfolgreichsten war damit die Partei
„Freiheit und direkte Demokratie“ von Tomio Okamura. Aber auch die
Parteien der Mitte greifen auf ähnliche rhetorische Bausteine zurück.
Unter anderem Premier Andrej Babis sprach in Zusammenhang mit der
Flüchtlingskrise von der Unvereinbarkeit verschiedener Kulturen. Der
Sozialdemokrat Karel Novotný machte wiederum vor den Wahlen durch
Roma-feindliche Sprüche auf sich aufmerksam. Gleichzeitig plakatierte er
in seinem Wahlkreis Reklametafeln mit der Aufschrift: „Warum sollte ich
mich schämen, zur Mehrheit zu gehören.“
Aber, kann die tschechische Gesellschaft den Rassismus irgendwann
überwinden? Der Historiker Daniel ist da eher skeptisch:
„Starke Stimmungen gegen Migranten und Moslems, sowie in einigen Teilen
der Gesellschaft gegen Russen, sind vorhanden. Es scheint also durchaus so,
als könnten sich die gewalttätigen 1990er Jahre wiederholen. Gottseidank
ist es bisher aber noch nicht dazu gekommen, dass die verbale Gewalt in
physische umschlägt und vielleicht sogar zum Mord führt.“
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