Endlich sitzen bleiben: Verfassungsgericht kippt diskriminierende
Verordnungen
Es ist kein Aprilscherz: Das tschechische Verfassungsgericht hat am Freitag
das Sitzen auf Treppenabsätzen, Mauern oder Rasenflächen erlaubt. Konkret
ging es um sogenannte Sitzverordnungen in einigen Gemeinden Nordböhmens,
die das Gericht nun umgestoßen hat. Denn diese sollen vor allem
diskriminierend gegen Roma gewesen sein.
In den letzten vier Jahren konnte man merkwürdige Szenen in den
Plattenbauvierteln der nordböhmischen Städte Varnsdorf / Warnsdorf und
Litvínov / Leutensdorf beobachten: Vor allem Roma sitzen dort auf dem
Rasen oder auf Mauern vor den Supermärkten und unterhalten sich. Scheint
sich aber in der Ferne ein Fahrzeug der Stadtpolizei zu nähern, springen
auf einmal alle auf und machen im Stehen weiter.
Das liegt an den sogenannten Sitzverordnungen in den betreffenden
Gemeinden. Sie verbieten es Menschen, auf öffentlichen Flächen zu sitzen,
sofern dies nicht auf einer städtischen Parkbank geschieht. Lärm und
Müll sollen dadurch vor allem vermieden werden. Und es soll positiv sein
für das Zusammenleben von Roma und Mehrheitsgesellschaft, wie Josef
Hambálek behauptet. Der Politiker von der Partei Ano ist stellvertretender
Bürgermeister von Varnsdorf:
„Die Lage in unseren Städten hat sich durch die Verordnung sehr
verbessert. Und auch die Leute, die dadurch betroffen sind, stimmen der
Verordnung mittlerweile zu. Dann das Verhältnis zwischen Alteingesessenen,
Zugezogenen, Mehrheit und Minderheiten hat sich deutlich entspannt.“
Dass es nicht ganz so rosig ist, beweist nicht nur die eingangs
beschriebene Szene, sondern auch eine Verfassungsklage von Ombudsfrau Anna
Šabatová:
„Natürlich haben die Kommunen das Recht, Ordnung an öffentlichen
Plätzen zu schaffen. Sie dürfen dabei aber nicht zwischen den Zeilen der
bestehenden Gesetze lesen und in Grundrechte eingreifen. Das Problem in
Varnsdorf und Litvínov war, dass etwas verboten wird, was flächendeckend
üblich ist und an sich keinen Schaden verursacht – und zwar Sitzen.“
Das Verfassungsgericht gab dem Amt der Ombudsfrau am Freitag Recht. Die
Brünner Juristen begründeten ihr Urteil dabei ganz nach den Forderungen
von Anna Šabatová, Zitat:
„Die Verordnungen greifen in einem unannehmbaren Maße in die
Bewegungsfreiheit der Bürger ein, die in den Gesetzen zu den Grundrechten
und Grundfreiheiten festgelegt ist.“
Die betroffenen Gemeinden sind jedoch mit dem Rechtsspruch nicht wirklich
einverstanden und wollen sich mit der Änderung ihrer Verordnungen Zeit
lassen. Stanislav Horáček (Partei Ano) ist Bürgermeister von Varnsdorf:
„Für die Bürger gibt es spezielle Plätze zum Sitzen, also Parkbänke
oder Betonblöcke. Die Verordnung besagt nur, dass man nicht auf
Betonabsperrungen, Mülltonnen, Zäunen oder Ähnlichem sitzen darf. Ich
würde gerne wissen, was hier welche Rechte einschränkt. Die betreffenden
Leute sitzen da weiterhin in großen Gruppen, trinken Alkohol, sind laut
und machen Unordnung.“
Immerhin in Litvínov will man die Bestimmungen überarbeiten, je nachdem
wie sich der Stadtrat in der kommenden Sitzung entscheidet.
„Natürlich werden wir das Urteil des Verfassungsgerichts
respektieren“, so die stellvertretende Bürgermeisterin Erika
Sedláčková (Kommunisten)
Allerdings besteht die Frage, wie weitere Kommunen reagieren werden, die
ähnliche Verordnungen in ihren Satzungen haben. Da es in der tschechischen
Rechtsprechung keine Präzedenzfälle gibt, sind sie nicht an das Urteil
gebunden.
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