Jožka gegen die Schweinemast – Vom Kampf um würdiges Erinnern an das
Roma-KZ Lety
Über zwanzig Jahre wird schon diskutiert, doch passiert ist bislang
nichts: Auf dem Gelände des ehemaligen Roma-Konzentrationslagers im
südböhmischen Lety steht bis heute ein Schweinemastbetrieb. Jozef Míker
gehört zu denjenigen, die sich seit langem dafür einsetzen, dass sich das
ändert. Der frühere Grubenarbeiter hält Vorträge, demonstriert und
verhandelt, damit in Zukunft auf würdige Weise an die Opfer von Lety
erinnert wird. Der Dokumentarfilm „Jožka“ zeigt Jozef Míker bei
diesem oft aussichtslos scheinenden Kampf.
Tschechien im Mai 2016. Jozef Míker ist auf dem Weg zur Gedenkfeier nach
Lety. An den Ort, wo viele Angehörige seiner Frau ums Leben gekommen sind.
Kränze werden niedergelegt, Reden gehalten. Der Film „Jožka“
poträtiert einen Mann, der längst die Geduld verloren hat und trotzdem
weiterkämpft. Gott könne die Lügen der Politiker eben nicht mehr
ertragen, meint Jozef Míker sarkastisch, als es während des Gedenkakts zu
regnen beginnt. Die kleine Gedenkstätte befindet sich über den
Massengräbern von Lety. Später führt Jozef Míker die Filmemacher an den
Zaun zum benachbarten Gelände, wo früher das Lager stand.
„Hier haben wir ein schönes Denkmal. Da sieht man, wie gern uns die
Tschechen haben – zum Andenken, dass sie uns damals umbrachten, haben sie
uns Schweine dagelassen.“
1973 wurde unmittelbar neben und auf einem Teil des ehemaligen
Lagergeländes eine Schweinemastanlage eingerichtet, ausgelegt für 20.000
Tiere. Inzwischen privatisiert, ist sie bis heute in Betrieb. Protagonist
Míker und die Filmemacher gehen mit der tschechischen Gesellschaft hart
ins Gericht. Zur ersten Vorführung in Tschechien kam in der vergangenen
Woche auch Regisseur Hamze Bytyci nach Prag, auf Einladung der
Theresienstädter Initiative. Sein Verein „RomaTrial“ sitzt in Berlin
und setzt sich mit ganz unterschiedlichen Projekten gegen Rassismus und die
Diskriminierung von Sinti und Roma ein.
„Wir haben Jozef vor einem Jahr bei einer Veranstaltung in Dresden
kennengelernt. Da haben wir bemerkt, wie absurd es ist, dass so gut wie
niemand etwas über dieses Thema weiß. Daraufhin hat er uns eingeladen, am
Gedenkakt teilzunehmen, der jedes Jahr in Lety stattfindet. Und wir als
Verein RomaTrial haben es auch als Verpflichtung gesehen, unseren Anteil
beizutragen.“
Finanziert wurde der Film unter anderem vom Go East-Filmfestival und vom
Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, seine Premiere feierte er vor zwei
Wochen auf dem Festival in Wiesbaden. Während der Dreharbeiten kamen
verschiedene Perspektiven zusammen. Jozef Míker bezeichnet sich selbst als
„tschechoslowakischen Rom“, Hamze Bytycis Eltern sind Roma aus dem
Kosovo, Produzentin Veronika Patočková wiederum ist Tschechin und
arbeitet als Wissenschaftlerin beim Denkmal für die ermordeten Juden in
Berlin.
„Ich selbst bin keine Romni. Aber ich denke, dass es leider die
tschechische Gesellschaft war, hier im Protektorat Böhmen und Mähren.
Natürlich war es in ganz Europa oft so, dass in der NS-Zeit die lokalen
Regierungen kollaboriert haben. Deshalb denke ich, ist es die Pflicht der
sogenannten Mehrheitsgesellschaft, darauf aufmerksam zu machen, wenn im
Jahr 2017 auf dem Gelände eines ehemaligen Konzentrationslagers eine
Schweinemast steht. Ich als Weiße muss so etwas machen. Denn die Roma
haben sich nicht selbst umgebracht – es ist unser Erbe.“
Das Lager Lety, 70 Kilometer südlich von Prag, bestand von 1940 bis 1943.
Gegründet als Zwangsarbeitslager, wandelten es die deutschen Besatzer im
August 1942 in ein „Zigeunerlager“ um. Von da an wurden ganze Familien
dorthin verschleppt. Auf Anordnung der Deutschen überwachten Tschechen das
Lager und die Deportationen nach Auschwitz. Dass mehr als 1.300 Menschen in
Lety inhaftiert waren und 327 starben, wurde in der tschechischen
Öffentlichkeit erst nach dem Fall des Kommunismus bekannt. 1994 entdeckte
der amerikanische Ahnenforscher Paul Polansky umfangreiche Archivbestände
zu Lety und publizierte seither mehrere Bücher. Nach Druck aus dem Ausland
eröffnete der damalige Präsident Václav Havel 1995 die kleine
Gedenkstätte beim früheren Lagergelände. Mehrmals wurde seitdem die
Schließung der Schweinemast in Aussicht gestellt, bislang ergebnislos.
Jozef Míker verfolgt die Sache seit Jahren:
„Für Lety engagiere ich mich wohl seit 2002 oder 2003. Es begann Ende
der 1990er, als ich meine jetzige Frau getroffen habe – eine tschechische
Romka aus der Procházka-Familie. Ihr Großvater und ihr Onkel haben mir
viel erzählt, was sie in Lety erlebt haben. Später habe ich Miro Brož
kennengelernt, und gemeinsam haben wir in Ustí nad Labem die Organisation
Konexe gegründet, gegen Neonazis und für die Rechte von Roma. So haben
wir zu kämpfen begonnen, und das machen wir bis jetzt.“
Das Scheitern der Bemühungen begründeten die Politiker zumeist mit den
hohen Kosten für den Kauf der Schweinemast. Als die aktuelle Regierung im
vergangenen Jahr ankündigte, den Wert des Betriebes schätzen zu lassen,
um Kaufverhandlungen aufnehmen zu können, schrieb das Boulevardblatt
Blesk: „Die Regierung will bis zu eine Milliarde aus dem Fenster
werfen.“ Auch Spitzenpolitiker äußern sich immer wieder negativ über
Lety – zuletzt im Herbst 2016 Finanzminister Andrej Babiš (Partei Ano).
„Er hat die Existenz des Konzentrationslagers in Lety bezweifelt und
sagte, es sei kein Konzentrationslager gewesen, sondern ein Arbeitslager.
Wer nicht arbeiten wollte, sei ruck-zuck dort gelandet. Damit hat er die
ganze Geschichte sehr vereinfacht. Als ein anderer Politiker vor Jahren das
gleiche gesagt hat, hat sich der Präsident darüber schrecklich aufgeregt.
Und heute? Die Meinungen ändern sich, die Menschen ändern sich, die
Politiker ändern sich.“
Die Ursachen für die Tendenz liegen laut Veronika Patočková sehr tief.
Die tschechische Gesellschaft sei bis heute in erster Linie geprägt von
der Selbstwahrnehmung als Nazi-Opfer und besetztes Land:
„Ich glaube, dass dieses Narrativ sehr wichtig ist. Die eigene Mitschuld
anzuerkennen, wäre ein großer Schritt, der noch zu tun ist. Weil er eben
gegen das Narrativ ‚Wir, die armen Opfer‘ ginge. Noch sieht man es so,
dass ein Opfer nicht gleichzeitig Täter sein kann. In dem Sinne müsste
die Gesellschaft noch erwachsen werden, glaube ich. Dabei kann man auch
differenzieren, und sagen, dass es nicht alle Teile der Gesellschaft waren.
Zugleich kann man es als Chance wahrnehmen, sich neu zu definieren.“
Die Kritik in „Jožka“ richtet sich vor allem gegen die Versäumnisse
auf tschechischer Seite. Aktivisten wie der Journalist Markus Pape oder die
Dresdner Gruppe „Gegen Antiromaismus“ fordern jedoch auch mehr
Engagement von Deutschland, als Nachfolgestaat der historisch
Hauptverantwortlichen. Im Film klingt zudem Kritik an der EU an. Das
Europäische Parlament hat in zwei Resolutionen zum Stopp der Schweinemast
aufgerufen, doch auch in Brüssel hat Jozef Míker schon demonstriert:
„Sie sollten größeren Druck ausüben, auf diese Schweinemast. Dieser
Betrieb wurde 1973 für ursprünglich für 20.000 Schweine errichtet. Heute
sind dort etwa die Hälfte. Und ohne die Subventionen der EU gäbe es
diesen Betrieb vermutlich schon lange nicht mehr. Natürlich weiß ich das
nicht zu hundert Prozent. Aber die Tatsache, dass die EU die Schweinemast
aus ihren Landwirtschaftsfonds fördert, gefällt mir nicht.“
Am vergangenen Samstag ist Jozef Míker erneut zum Gedenkakt nach Lety
gefahren. Menschenrechtsminister Jan Chvojka (Sozialdemokraten) sagte der
Presse, das Gutachten zur Schweinemast liege vor, die Verhandlungen mit dem
Betreiber sollen im Juni beginnen. Ob die wankende Regierung das Ende der
Schweinemast in Lety noch in dieser Legislaturperiode besiegeln kann,
bleibt abzuwarten. Für Veronika Patočková wäre es erst der Anfang:
„Ich glaube fest daran, dass die Schweinemast eines Tages zumacht, aber
ich verbinde damit auch Befürchtungen. Denn ich kann mir vorstellen, dass
dann viele Leute sagen, mein Gott, so viel Geld wird dafür ausgegeben, das
hätten doch unsere Kinder eher brauchen können als die Roma-Kinder. Die
Schweinemast störe doch niemanden, das sagte im Film auch ein Passant bei
einer Gedenkveranstaltung in Theresienstadt. Sie bringe doch so viele
Steuergelder ein, damit würden doch die ganzen Sozialleistungen für die
Zigeuner bezahlt … Also, die Schweinemast ist natürlich ein sehr
wichtiger Schritt, und sie ist ein Symbol. Aber ich glaube, wir dürfen
dann nicht mit unserer Arbeit aufhören. Es braucht noch viel mehr.“
Aufklären über die Roma, ihre Gegenwart und ihre Vergangenheit in
Tschechien will Jozef Míker auch weiterhin. Sein Film soll bald in Schulen
gezeigt werden. Für Lety nach der Schweinefarm wünscht er sich ein
Bildungszentrum:
„Am meisten Sinn sehe ich im Unterricht. Am besten wäre, wenn
Jugendliche mit der Schule dorthin fahren. Auch unsere, die Roma-Kinder!
Warum gibt es keine Schulausflüge nach Lety, so wie regelmäßig Busse
nach Lidice oder Theresienstadt fahren? Bei den Älteren sind die
Vorurteile schon eingraviert, aber in den Kindern liegt meine Hoffnung.
Dass in Zukunft keine Konzentrationslager mehr gebaut werden, für Menschen
anderer Hautfarbe, Nationalität, Religion oder sexueller Orientierung. Das
ist die Hoffnung, die ich habe.“
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