Sprache, Identität, Selbstbewusstsein: Roma in Tschechien
Bewundert, romantisiert, aber auch gehasst – die Roma in Tschechien
hatten nie einen leichten Stand. Bis heute ist es oft nicht einfach für
sie, in der tschechischen Gesellschaft Fuß zu fassen. Doch wer sind diese
Menschen? Eine Frage, die auch für die Roma selbst nicht einfach zu
beantworten ist. Doch werden die Angehörigen dieser Volksgruppe immer
selbstbewusster. Wenn auch zaghaft.
Das Theater Minor in Prag hat eine lange Tradition bei Aufführungen für
Kinder, die von Kindern gestaltet wurden. Das ist auch an diesem Mittwoch
so, eine Gruppe aus dem mittelböhmischen Kutná Hora / Kuttenberg führt
hier ein Stück über den Rabauken Smoliček auf.
Doch an den Kindern, die auf der Bühne stehen, ist etwas besonders: Sie
stammen alle aus einer sogenannten „Vyloučená lokalita“, einem
schwierigen sozialen Umfeld. Viele von ihnen sind Roma.
Im Anschluss an die Aufführung können sie auch selbst noch Zuschauer
sein. Und zwar bei einem poetischen Programm, das ihnen ihre eigentlich
eigene Sprache näherbringen soll.
Schnell aber fällt eines auf während der Veranstaltung: Die Roma-Kinder
sprechen oft kein Wort Romanes. Auch wenn sie die alten Lieder kennen, die
ihnen der Liedermacher Gejza Horváth vorsingt. Warum das so ist, weiß
Zbyněk Andrš. Er ist zwar ein Gadzo, also ein Nicht-Rom, doch mit den
Roma, ihren Liedern und Geschichten kennt sich der Romist gut aus:
„Tatsächlich sprechen diese Kinder kein Romanes mehr. Trotzdem haben
sie die Sprache und einen gewissen Wortschatz weiterhin irgendwo im
Hintergrund, vor allem durch ihre Großeltern. Auch wenn die natürlich
schon längst zweisprachig sozialisiert sind. Bei den Kindern hier hat man
gesehen, dass sie das eine oder andere Wort doch übersetzen konnten.
Ansonsten ist es wirklich so, dass das eigentlich slowakische Romanes hier
in Tschechien ausstirbt. Für eine Revitalisierung ist es aber noch nicht
zu spät. Ein passives Sprachverständnis existiert indes bis zu einem
gewissen Grad.“
Der Verlust der Sprache ist auch ein Verlust an Identität. Und gerade
damit haben es die Roma in Tschechien schwer. Denn die tschechischen Roma
an sich gibt es nicht mehr, da diese zu 90 Prozent ermordet wurden im
Porajmos, dem Völkermord an den Roma im Nationalsozialismus. Heute leben
hierzulande vor allem Roma aus der Slowakei. Die Probleme bleiben aber die
gleichen. Zbyněk Andrš:
„Der Verlust der Sprache hat auch eine desintegrierende Wirkung auf die
Identität der Roma. Vor allem durch den Druck vor und während des
Kommunismus. Gemeint ist dabei der Druck durch Bildungsinstitute, aber auch
das gesamtgesellschaftliche Klima. Wenn wir von Integration in die
Mehrheitsgesellschaft sprechen, vergessen wir eine Sache: Gleichzeitig
verläuft immer eine Desintegration der eigenen Kultur sowie der Werte und
Traditionen.“
Besonders die Familie hält aber laut Andrš die Roma-Kultur zusammen. Die
Erzählungen, Märchen und Anekdoten der Großeltern ersetzten die
klassische Bildung in diesem Bereich.
Einer, der den Spagat zwischen Roma-Community und Mehrheitsgesellschaft
geschafft hat, ist Richard Samko. Geboren ist er im nordostböhmischen
Náchod und mittlerweile kennt ihn ganz Tschechien. Er ist nämlich
Redakteur beim öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen, genauer
gesagt beim Nachrichtensender ČT24. Zum Fernsehen gekommen ist er eher
zufällig:
„Da bin ich eigentlich wie die Jungfrau zum Kind gekommen. Ich hatte das
Glück, die richtigen Leute zu kennen Ende der 1990er Jahre. Über die
Bürgerinitiative Dzeno von Ivan Veselý und Jarmila Balažová konnte ich
einen Grundkurs Journalistik abschließen. Weiter ging es dann auf die
Hochschule für Journalistik quer durch verschiedene Medien. Geblieben bin
ich schließlich beim Fernsehen.“
Die Karriereleiter beim Tschechischen Fernsehen sei er auch als Rom ohne
Probleme raufgeklettert, so Samko. Abgesehen davon, dass er als gelernter
Gastronom erst lernen musste, einen Computer zu bedienen. Ansonsten hätte
ihm niemand Steine in den Weg gelegt. Die Kollegen hätten durch ihn sogar
einen Zugang zu den Roma bekommen, der ihnen sonst verwehrt geblieben
wäre, meint der Redakteur.
Auch das Publikum sei gut auf ihn zu sprechen, nie hat er allein wegen
seiner ethnischen Zugehörigkeit schlechte Stimmen gehört. Was aber seine
Arbeit angeht, sieht es anders aus. Vor allem in letzter Zeit bemerkte
Richard Samko radikalere Töne in seine Richtung:
„Wahr ist, dass ich mir schon ab und zu bewusst böse Worte abgeholt
habe. Ich habe mich nämlich von Anfang an journalistisch mit dem
Extremismus auseinandergesetzt. In den 17 Jahren, in denen ich beim
Fernsehen bin, habe ich einige Neonazi-Demos mitgemacht und habe da auch
verbal einiges abbekommen. Ein tätlicher Angriff war aber nie dabei. Erst
vergangenes Jahr, zum Staatsfeiertag am 17. November, habe ich das erste
Mal wirklich Angst gehabt. Bei einer Demonstration der Anhänger vonc/festivaly/romacademy
Präsident Zeman in der Prager Albertov-Straße wurde der Stab des
Tschechischen Fernsehens angegriffen, also auch ich. Dabei wurden mir viele
unschöne Dinge zugerufen.“
Mit der Migrationskrise könnte man annehmen, dass sich der Hass in der
Gesellschaft verschoben hat – von den Roma auf die Araber oder die
Muslime insgesamt. Richard Samko lässt das so jedoch nicht gelten. Das sei
eine zeitweilige Erscheinung, meint der Journalist. Bald wird es sicher
wieder die Roma treffen mit Argumenten, dass diese unberechtigt
Sozialleistungen abschöpften, faul seien oder ähnliches. Schwarz malen
möchte er die Lage aber nicht. Positive Signale kommen auch aus der
Roma-Community selbst. Man versucht anzukommen in der tschechischen
Gesellschaft, wenn auch zaghaft und mit Vorbehalten:
„Es ist ein positiver Trend zu erkennen. Ich kenne mittlerweile viele
Roma, die an den Universitäten studieren oder sich in den Sekundarstufen
auf das Studium vorbereiten. Da hat sich viel getan in den letzten 17
Jahren. Es gibt aber auch eine negative Seite, vor allem in den kleineren
Städten in Tschechien. Dort haben die meisten Roma resigniert und wandern
ins Ausland ab. Sie begreifen nicht, dass die Gadzos, also die Nicht-Roma,
auch Partner sein können. Manche wollen das auch bewusst nicht. Wenn ich
die Lage insgesamt bewerten müsste, wiegen sich positive und negative
Entwicklungen zu jeweils 50 Prozent auf. Ich will aber optimistisch sein
und wünsche mir, dass die positiven Seiten bald mit 80 Prozent
überwiegen.“
Was seine Identität als Rom angeht, ist für Samko die Sache klar:
„Identität ist etwas, das mir angeboren ist. Ich bin froh, glücklich
und stolz darauf, ein Rom zu sein. Und vor allem darauf, zwei Dialekte
unserer Sprache zu sprechen. Was dazu gehört sind natürlich meine Freunde
und Familie. Das ist genauso selbstverständlich für den Rest der Roma.
Niemand muss seine Identität als Rom aber an die große Glocke hängen.
Wir wissen, wer wir sind, und das wichtigste dabei sind unsere engen
Beziehungen zueinander.“
Wer in Prag an Roma denkt, denkt auch an das Musik-Festival Khamoro. Jeden
Sommer lockt es zahlreiche Menschen aus dem In- und Ausland in die
tschechische Hauptstadt und bringt sie näher an die Kultur der Roma. Doch
diesen November ist noch eine Veranstaltung hinzugekommen, die vor allem
die Sprache der Roma feiert: die RomAcademy. Das Europäische Zentrum für
Roma-Musik, das Prager Theater Minor und das Goethe-Institut Prag haben es
organisiert. Monika Loderová vom Goethe-Institut erklärt, worum es bei
RomAcademy eigentlich geht.
Frau Loderová, Sie vom Goethe-Institut haben die Tage des Romanes hier in
Prag mitorganisiert. Worum geht es dabei?
„Wie schon der Titel andeutet: Das Wichtigste war uns die Roma-Sprache
und Kultur. Diese Bereiche sind ja auch ein zentrales Anliegen des
Goethe-Instituts. Deswegen haben wir zusammen mit dem Europäischen Zentrum
für Roma-Musik und Karolína Ryvalová ein Programm gestaltet, dass Kultur
und Sprache kombiniert.“
Wie sind Sie dazu gekommen, dieses Projekt zu unterstützen?
„Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir uns mit der Kultur der Roma
beschäftigen. Wir haben in den vergangenen Jahren auch ein großes
Tanztheater-Projekt gestaltet. In diesem Jahr beteiligt sich das
Goethe-Institut an einem Projekt der Bundeskulturstiftung. Es soll ein
digitales Archiv der Roma-Kultur Mittel- und Osteuropas werden. Diese
Veranstaltung ist ein Teil des Begleitprogramms.“
An wen richtet sich das Festival? Eher an die Mehrheitsbevölkerung, oder
auch an die Roma selbst?
„Sicher an beide. Und an beide Zielgruppen hat es auch eine andere
Botschaft. Für die Roma ist es wichtig, ihre eigene Tradition
kennenzulernen und auch zu präsentieren. Für die Mehrheitsgesellschaft
hingegen ist es wichtig, zu sehen, dass die Roma-Kultur auch Bestandteil
der eigenen Kultur ist.“
Können Sie auch selbst ein bisschen Romanes?
„Zum Beispiel ‚Akh‘ ist das Auge oder ‚Phtal‘ ist der Bruder.
Aber das habe ich auch erst während dieser Veranstaltung gelernt.“
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