Fremd ist der Fremde nur in der Fremde: Integration durch gegenseitiges
Verstehen
In der Migrationskrise ist es ein Totschlagargument: Das Land habe einfach
keine Erfahrung mit Einwanderer. Ganz richtig ist dies jedoch nicht. In
Tschechien leben mehrere Tausend Menschen, die nicht in Tschechien geboren
wurden, deren Muttersprache nicht Tschechisch ist und die nicht Novák oder
Kadlec heißen. Und das nicht erst seit gestern, sondern – wie die
Griechen, Vietnamesen oder Ex-Jugoslawen – schon über mehrere
Generationen hinweg. Die Organisation Slovo21 engagiert sich für die
Integration dieser Menschen, und für eine bessere Kommunikation mit den
eingeborenen Tschechen.
Ein bisschen erinnert der Park Portheimka im Prager Stadtteil Smíchov an
die New Yorker Bronx. Es ertönen Beatboxklänge und die Atmosphäre ist
international, lebhaft und laut. Hier findet nämlich der Tag der Kinder
statt, der sich vor allem an die Sprösslinge von Migranten richtet.
Ausgerichtet hat das Fest die Organisation Slovo21, die von Jelena
Silajdžić geleitet wird:
„Slovo21, der fünfte Prager Stadtbezirk und das Innenministerium
organisieren durch das Jahr hindurch zahlreiche Veranstaltungen. Thema ist
durchweg das Verhältnis zwischen Migranten und der Mehrheitsgesellschaft,
also den Tschechen. Die Aktionen sind so gestaltet, dass man sich
miteinander trifft, unterhält und ganz einfach zeigt, wie ein harmonisches
Zusammenleben funktionieren kann. Der Kindertag hier ist eine dieser
Veranstaltungen. Es ist dabei viel geboten für die Kinder, ihre Eltern und
Großeltern: Musik, Tanz, eine Miniolympiade und viele Spiele, die Kinder
einfach lieben. Gerade eben hören wir ja auch einen Beatbox-Kurs, der den
Kindern immer wieder Spaß macht.“
Besonders in der Migrationskrise wird den ostmitteleuropäischen Staaten
vorgeworfen, zu homogen zu sein in ihrer Bevölkerungsstruktur. Und dadurch
auch abweisend für alles Fremde. Tatsächlich ist der Anteil der
Einwanderer in Tschechien nicht mit westeuropäischen Zuständen
vergleichbar. Dennoch leben hierzulande rund 500.000 Menschen ohne
tschechischen Pass. Nach der Wende und der tschechischen Eigenstaatlichkeit
waren es gerade einmal knapp 80.000. Die meisten Menschen kommen dabei aus
der Ukraine, der Slowakei und Vietnam. Doch auch die Zahl der EU-
Migranten, abgesehen von den Slowaken, steigt in Tschechien immer weiter.
Slovo21 wurde im Jahr 1999 von Jelena Silajdžić und ihrem Mann Džemil
gegründet. Vor allem hat sich Slovo21 in Tschechien durch seine Arbeit mit
den Roma einen Namen gemacht. Die Organisation hilft Roma bei der
Integration in die Mehrheitsgesellschaft und veranstaltet dazu bereits seit
ihrem Gründungsjahr das Roma-Festival Khamoro. Doch gingen die Ziele von
Slovo21 viel weiter, wie Jelena Silajdžić erklärt:
„Wir von Slovo21 beschäftigen uns im gleichen Maße mit den Roma wie
auch mit Migranten. Das sieht man auch an unserem Team, in dem neben
Tschechen und Roma genauso Migranten sind. Unser Hauptanliegen, und das
schon seit Jahren, ist dabei die Integration der Menschen. In
Zusammenarbeit mit dem Innenministerium und auch den Prager Stadtbezirken
veranstalten wir eine Reihe von Informationskampagnen für Einwanderer.
Besonders auch für Menschen, die gerade erst hierhergekommen sind. Damit
sie gleich wissen, was ihre Rechte und Pflichten sind. So wird der Beginn
ihres neuen Lebens so stressfrei wie möglich und sie können sich schnell
in die Gesellschaft eingliedern.“
Es gehe Slovo21 um das Zwischenmenschliche. so Silajdžić weiter. Was die
bürokratische und administrative Hilfe angeht, so leisten die städtischen
Integrationszentren gute Arbeit. Diese gibt es nahezu in jedem Prager
Stadtbezirk und begleitet Migranten bei Behördengängen und ähnlichem.
In Westeuropa ist in letzter Zeit ein dramatischer Anstieg von
fremdenfeindlichen Übergriffen zu verzeichnen. So leiden im Vereinigten
Königreich vor allem die Polen unter Anfeindungen. Das Land hatte sich
erst jüngst im Brexit-Referendum für den Vorrang der eigenen Nation
entschieden. Wiederum in Frankreich, den Niederlanden oder Deutschland sind
es vor allem die Muslime, die einen schweren Stand haben. In Tschechien ist
alles noch etwas ruhiger, wie Jelena Silajdžić bestätigt. Auch wenn sie
nicht zu optimistisch sein will:
„Jetzt ist es im Großen und Ganzen in Ordnung was den Umgang mit den
Migranten angeht. Dennoch haben es Menschen gerade aus dem arabischen Raum
hier aus bestimmten Gründen nicht so leicht. Ich hoffe, dass sich die
Wahrnehmung auch dieser Menschen stark zum positiven ändert. Vor allem da
wir alle wissen, dass es immer mehr und mehr Migranten geben wird
hierzulande. Ob wir wollen oder nicht, auch Tschechien wird früher oder
später von der Flüchtlingskrise ergriffen. Ergreifen ist vielleicht das
falsche Wort, denn es geht ja um Leben und Tod und wir müssen denen die
Hand reichen, die in Not sind.“
Jelena Silajdžić kommt selbst aus dem ehemals jugoslawischen Sarajevo
– einer Stadt, die einmal Stolz auf ihr multikulturelles Erbe war. Sie
weiß wovon sie spricht, wenn sie von Flucht und Vertreibung redet. Sie
kennt diese Erfahrung sehr gut:
„Ich selbst war ein Flüchtling aus dem ehemaligen Jugoslawien und bin
denselben Weg gegangen, wie die meisten Flüchtlinge in den vergangenen
Monaten. Für mich war alles aber viel einfacher, als für jemanden aus
Syrien, Afghanistan, Afrika oder Gott weiß woher.“
Es ist meist eine Sache der Kultur, wie gut sich jemand in einem anderen
Land zurechtfindet. Für Jelena Silajdžić selbst war die Ankunft in
Tschechien keine große Herausforderung´:
„Ich persönlich hatte keine Probleme mit der Integration hier. Ich
kannte Tschechien ja schon bevor das in Jugoslawien passiert ist. Mein Mann
und ich haben damals im Filmgeschäft gearbeitet und hatten viele
Koproduktionen mit der Tschechoslowakei. Dementsprechend hatten wir auch
viele Freunde in Tschechien und ebenso war uns die tschechische Kultur
nicht unbekannt. Die Tschechen sind ja immerhin Slawen, genauso wie wir.
Wenn ein Mensch aus dem ehemaligen Jugoslawien auch kein Wort Tschechisch
spricht, findet er sich schon irgendwie zurecht. Die Mentalität ist zwar
eine etwas andere, aber es gibt viele Gemeinsamkeiten, was die Sprache oder
auch das historische Erbe angeht.“
Die Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen. Aber das Zusammenleben und
die Integration?
Zumindest dachte sich das Slovo21, indem die Organisation eines ihrer
Vorzeigeprojekte zur Integration ins Leben rief. Es heißt Rodina odvedle /
Die Familie von nebenan und läuft mit großem Erfolg seit bereits 14
Jahren.
Es geht darum, dass sich eine tschechische und eine ausländische Familie
zum sonntäglichen Mittagessen an einem Tisch treffen. Ob es nun Knödel,
Pizza oder Sushi gibt, hängt ganz vom Gastgeber ab. Laut Silajdžić
nehmen bei jedem Treffen rund 5000 Menschen in Tschechien teil. Das Projekt
war zeitweise so erfolgreich, dass es mittlerweile in sieben verschiedenen
europäischen Ländern stattfindet.
Es hat einen handfesten Grund, warum Slovo21 unter anderem gerade diesen
Weg gewählt hat, um Einheimische und Zugezogene zusammenzubringen. Dies
hänge eigentlich mit der grundsätzlichen Motivation von Slovo21 zusammen,
wie Jelena Silajdžić meint:
„Die Menschen müssten sich kennenlernen, miteinander sprechen und
feststellen, dass wir alle die gleichen Probleme aber auch die gleichen
Freuden haben. Und vor allem, dass wir alle mehr oder weniger normal
miteinander leben wollen. Bis dahin helfen keine Konferenzen, politische
Statements oder Runde Tische. Es muss einfach darum gehen, dass wir uns
näher kommen und uns gegenseitig verstehen.“
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