Erwachsenenalter
26-02-2000
Im Erwachsenenalter kümmerten sich die Roma um ihre Familie, sorgten für ausreichende Nahrung und Bekleidung und erzogen ihre Kinder. Der materiellen Grundlage entsprechend gab das Haupt der Familie (der Mann) zu erkennen, wie geschickt er sei und sich gut um die Familie sorge, wenn er auch die Finanzmittel auf irgendwelche Art beschaffte (Lohnarbeit, staatliche Sozialunterstützung, Diebstahl oder Betrug usw.).
Das Leben der sesshaften Roma in der Slowakei spielte sich in ländlichen Siedlungen ab, die bis heute vor allem in der Ostslowakei bestehen und aus Holzhäusern oder Häusern aus ungebrannten Ziegeln zusammengesetzt sind. Bis zum Zweiten Weltkrieg dienten auch sogenannte Erdlöcher als Behausungen, in die Erde vertiefte einfache Wohnstätten. Heimatgefühl setzen die Roma nicht mit einem Haus gleich. Wie ein kleines Kind seine Mutter braucht, brauchen die Roma ihre Grossfamilie, ihre Leute. Unter den seinen fühlt sich der Roma auch in einer ärmlichen Behausung gut. Und das Wohnen muss gelernt werden. Uns erscheint es einfach, in einer Wohnung zu leben, doch für die Roma, die plötzlich in neuen Wohnungen in Wohnsiedlungen zu leben hatten, war es nicht einfach. Grosse Familien wurden im Zuge der Auflösung von Roma-Siedlungen in städtische Wohnquartiere umgesiedelt und mussten von einem Tag auf den andern mit einer anderen Kultur zurechtkommen. Die Verwüstung solcher Wohnungen, von der wir so oft in Zeitungen lesen können, ist eine Folge ihres Verhältnisses zum "Haus".
Unter den alteingesessenen Roma war an der Spitze der Kommunität in der Siedlung ein allseits geachteter und respektierter Mann - der Chibalo. Er wachte über die Einhaltung der ethischen Normen und der Ordnung. Oft war er auch der Zeremonienmeister, der Eheschliessungen vollzog, Begräbnisse leitete usw. Mit dem Zerfall der gesellschaftlichen Bande in der letzten Zeit ist auch seine Position untergraben worden. Grundlage der Gesellschaft bleibt die Familie, und alle Tätigkeiten der Roma sowohl in den Städten, wie auch in Dörfern oder den traditionellen Siedlungen, orientieren sich auf den Unterhalt der Familie. Unter den Siedlungen gibt es grosse Unterschiede hinsichtlich Besitztum und Lebensstil, doch sind die Bewohner solcher Siedlungen oft wesentlich freier als die Leute in zivilisierten Wohnstätten. In ihnen hat sich etwas erhalten, was wir sonst in der schnellebigen Welt, wo jeder für sich selbst lebt, nicht mehr finden.
In den Städten erliegen wir oft einer optischen Täuschung: Es scheint uns, als lebten in ihnen mehr Roma, als es den Tatsachen entspricht. Im Unterschied zur übrigen Bevölkerung verbringen die Roma sehr wenig Zeit in ihren Wohnungen, sie sind ständig auf der Strasse. In den Sommermonaten spielte sich das Leben in den Siedlungen der Roma draussen ab: Die Frauen kochten auf Herden, die sie vor das Haus getragen hatten, auch die Tische waren draussen, draussen wurde gegessen, gewaschen, es gab Feste und Unterhaltung. Und draussen wurden auch die Lieder gesungen: Sie hatten beispielsweise die Trauer über den Tod der Mutter zum Inhalt, die Armut, aber auch Gefühle der Liebe, und andere waren temperamentvoll und im Csardas-Rhytmus.
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