Zahl an Armenghettos in Tschechien steigt
In Tschechien steigt die Zahl der Armenviertel. Die Regierung hat deshalb
nun ein Maßnahmenpaket vorgelegt. Es soll den Städten und Gemeinden
helfen, die Probleme an den sozialen Brennpunkten zu lösen.
Die Zahl an ghettoartigen Siedlungen hat sich in den letzten zehn Jahren in
Tschechien verdoppelt. Dies zeigen die Ergebnisse der jüngsten Analyse des
Ministeriums für Arbeit und Soziales. Demnach wohnen 115.000 Menschen,
hauptsächlich Roma, ab- und ausgeschlossen in mehr als 600 Armenvierteln.
Vor neun Jahren waren es noch 80.000 Einwohner in 300 Problemvierteln.
Viele der sozial Abgehängten leben von Sozialleistungen, haben eine
niedrige Ausbildung, sind häufig arbeitslos und kämpfen mit Verschuldung.
Premier Bohuslav Sobotka verweist auf einen Paradox in Tschechien:
„Die Wirtschaft wächst sehr schnell, die Arbeitslosenrate sinkt rasant,
und trotzdem hat die Zahl der Armenghettos und der Gemeinden mit solchen
Problemvierteln in den letzten Jahren zugenommen. Dort gibt es Probleme mit
der Ausbildung, Arbeitslosigkeit, mit der Wohnqualität, aber auch mit
Kriminalität.“
Ein wichtiger Faktor dieses Negativtrends ist laut der Analyse die
Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre. Außerdem trügen in einem Drittel
der Fälle die Gemeinden und die Immobilienbesitzer Schuld daran. Die
Armenghettos seien durch den geregelten Umzug der armen Menschen aus
verschiedenen Gemeindeteilen an einen Ort entstanden.
Eine bedeutende Rolle spielt die Tatsache, dass in den Ghettos schon eine
neue Generation herangewachsen sei, die keine Chance besitze, sich aus dem
Milieu zu befreien, sagt der Soziologe Karel Čada:
„Diese Generation hat nun wieder Kinder. Das Bildungssystem war aber
bisher anscheinend nicht in der Lage, sie auf ein Berufsleben außerhalb
der sozialen Exklusion und auf die Durchsetzung auf dem Arbeitsmarkt
vorzubereiten.“
Die Zahl der Ghettos wächst, sie sind aber kleiner als früher. Die
Menschen ziehen vermehrt in billigere Wohnungen in kleinere Ortschaften.
Zugleich ist es dort aber schwerer, Arbeit zu finden oder eine Ausbildung
zu machen. Radek Jiránek ist der Leiter der Agentur für soziale
Integration:
„Je kleiner die Gemeinde ist, desto weniger Kraft und Möglichkeiten
stehen ihr zur Verfügung, um dagegen vorzugehen. In größeren Städten
wird das Problem kleiner, stattdessen verlagert es sich in kleinere Städte
und Gemeinden.“
Die Regierung hat in dieser Woche ein Treffen mit Bürgermeistern aus den
betroffenen Städten und Gemeinden initiiert. Dabei wurden Unterlagen
verteilt, wie die Probleme gelöst und welche Mittel dafür ausgeschöpft
werden können. Jiří Dienstbier ist in Tschechien Minister für
Menschenrechte:
„Die Unterlagen führen alle Instrumente der verschiedenen Ressorts auf,
die den Gemeinden helfen können, die soziale Exklusion zu überwinden. Es
ist also ein Lösungsangebot in den Bereichen Bildung, Beschäftigung,
Sozialdienstleistungen und Kriminalitätsprävention.“
Dienstbier zufolge könnten bis zu zehn Milliarden Kronen (370 Millionen
Euro) für diese Zwecke freigestellt werden.
In dieser Woche wurde auch ein neues Konzept für den sozialen Wohnungsbau
gebilligt. Die Voraussetzung für eine neue Gesetzgebung in diesem Bereich
ist damit geschaffen.
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