„Ein Stück von mir selbst“ – Klaudia Dudová über ihre Rolle im
Roma-Drama „Cesta ven“
Laienschauspieler heißen im Tschechischen „neherci“, wörtlich:
Nichtschauspieler. Und als Nichtschauspielerin sieht sich Klaudia Dudová.
Dabei hat die Hauptdarstellerin des Roma-Dramas „Cesta ven“ (Der Weg
hinaus) in den vergangenen Monaten vier Filmpreise gewonnen, international
wie auch in Tschechien. In den Medien wird Klaudia Dudová aus Ústi nad
Labem / Aussig seither als Roma-Aschenputtel gefeiert. Denn vor zwei Jahren
saß sie noch als Verkäuferin an der Kasse. Über Fiktion und Wirklichkeit
gibt die 26-Jährige in einem Interview Auskunft.
Wie sie denn Arbeitserfahrung sammeln solle, wenn niemand sie nehmen wolle?
Diese Frage schleudert die junge Žaneta bei einem Vorstellungsgespräch
heraus. Eine zufriedenstellende Antwort bekommt sie nicht. Überhaupt
lässt der Film „Cesta ven“ viele Fragen offen. Alleinerziehend, ohne
Job und ohne Geld landet Žaneta mit ihrer Tochter in einem trostlosten
Wohnheim in Ostrava / Ostrau. Der Ausweg England, den ihr Freund David
vorschlägt, erscheint ihr lächerlich.
Wer würde ihn denn bitte dort erwarten, mit dem Wortschatz von „Ok“,
„Football“, „Thank you“, sagt Žaneta.
Darstellerin der Žaneta ist Klaudia Dudová. Und sie wird nun immer
wieder gefragt, inwieweit die Geschichte, die Cesta ven erzählt, ihre
eigene ist. Ähnlichkeiten gibt es, sagt Klaudia Dudová:
„Žaneta ist eine Kämpferin. Erst zieht sie ihre jüngere Schwester
fast wie ihr eigenes Kind auf, ohne die Hilfe von Mutter und Vater. Dann
hat sie die Beziehung zu diesem David, der immer mehr Probleme macht. Und
dann entschließt sie sich, auch ihr Kind allein aufzuziehen. Sie trifft
den Entschluss weiterzugehen, aber eben alleine. Und das habe ich mit
dieser Žaneta gemeinsam. Ich ziehe auch alleine ein Kind auf und hatte
auch einen problematischen Freund. Das haben wir gemeinsam, und darum hat
die Rolle so gut gepasst – weil sie ein Stück von mir selbst
enthält.“
Aber: Eben nur ein Stück. Während Žaneta keinen Fuß auf den Boden
bekommt, hat Klaudia Dudová, seit sie 17 ist, in einem
Lebensmittelgeschäft gearbeitet. Sie lebt bei den Eltern in Ustí nad
Labem / Aussig an der Elbe. Vater und Mutter hätten immer gearbeitet, die
Schwester studiert, sagt Klaudia Dudová mit Stolz. Den Sumpf aus
Hoffnungslosigkeit und Armut kennt sie, aber nicht aus eigener Erfahrung.
Dass sie nun in Tschechien ein wenig als die Vorzeige-Romni gilt, die es
geschafft hat, das ist auch das Verdienst von Petr Václav. Der Regisseur
von „Cesta ven“ hat Klaudia Dudová entdeckt, zuhause in Ustí nad
Labem.
„Er kam – und das als Tscheche – zu einer Roma-Party. Er kam auf
mich zu und sagte, dass ich wahnsinnig gut in einen Film passen würde, den
er drehen wolle, und ob ich nicht mitspielen wolle. Ich habe ihm zuerst
kein Wort geglaubt, denn er sah überhaupt nicht aus wie ein Regisseur.
Aber er kannte einen Freund von mir sehr gut, daher hab ich Petr dann
einige Mal getroffen und öfter mit ihm gesprochen. Am Ende ist es dann
dazu gekommen, dass ich in dem Film gespielt habe.“
Schon in seinem Debüt als Spielfilmregisseur erzählte Petr Václav die
Geschichte eines kleinen Roma-Jungen in einem Kinderheim. Der Film
„Marian“ gewann 1996 einen silbernen Leopard beim Filmfest in Locarno.
Seither hat Václav viel fürs Fernsehen gearbeitet, er lebt seit längerem
in Frankreich. Klaudia Dudová hat zu dem Regisseur schnell Vertrauen
aufgebaut.
„Er wusste sehr viel über Roma, wie sie tatsächlich leben, welche
Probleme sie haben. Deswegen habe ich angefangen, ihm zu vertrauen, und ich
war mir sicher, dass es ein guter Film wird – einfach durch die Art und
Weise, wie er ihn beschrieben hat.“
Petr Václav hat keinerlei Berührungsängste. Für Klaudia Dudová war es
darum vollkommen in Ordnung, dass ein Nicht-Rom sich dem Schicksal der
Minderheit annimmt.
„Petr ist für das Casting einfach selbst an diese Orte gegangen. Er
ist einfach zu den Roma hingegangen und hat bei ihnen zuhause angeklopft.
Er hat mit ihnen gesprochen, sie überredet und neue Leute getroffen. Er
hat sich viele Geschichten einzelner Roma angehört und mitbekommen, wie
sie leben. Das hat mich eigentlich am allermeisten überzeugt. Außerdem
hat er sich wirklich fast selbst wie ein Rom verhalten. Er wusste sehr viel
über Roma, und ich habe ihm zu 100 Prozent vertraut. Wenn ich sehe, wie er
den Roma zuhört, wie er zu ihnen hingeht und ihre Probleme sieht und
versucht ihnen zu helfen – das würde kaum ein Tscheche tun, was er für
die Roma tut.“
Die Art wie Klaudia Dudová von Regisseur Václav spricht, zeigt, wie tief
die Gräben sind, die zwischen den Roma und der sogenannten
Mehrheitsgesellschaft liegen. Petr Václav hatte kein Problem damit,
während der Dreharbeiten auf die Vorschläge seiner Laienschauspieler
einzugehen, sagt Klaudia Dudová.
„Wir haben ihm nicht hineingeredet. Aber vor den Aufnahmen haben wir die
Szenen gemeinsam durchgesprochen. Dann habe ich zum Beispiel gesagt, dass
ich das so oder so sehe, oder wir haben zu Petr gesagt: So ist es da aber
gar nicht. Roma verhalten sich eher so und so. Wir haben das also immer
gemeinsam gemacht und sind uns immer einig geworden.“
Nach dem großen Erfolg für „Cesta ven“ – zuletzt räumte der
Streifen sechs Preise bei den tschechischen Oscars ab – wurde auch Kritik
laut. Es hieß, der Film habe nur gewonnen, um zu beweisen, dass die
Tschechen keine Rassisten seien. An den Kinokassen war der Film kein
Erfolg, dafür vermittelt er wohl zu viel harte Realität. Für Klaudia
Dudová war am wichtigsten, wie ihr Umfeld auf den Film reagiert.
„Negative Reaktionen gab es bisher nicht. Viele meiner Bekannten, viele
Roma, aber auch Tschechen, die ihn gesehen haben, haben mir dazu
gratuliert, zu dieser Leistung. Sie sagten, der Film habe ihnen gefallen
und dass er nicht ausgedacht wirke – sondern einfach sehr real. Bei den
meisten Roma ist es einfach wirklich so. Es gibt die Zuhälter, dann gibt
es welche, die lieber stehlen, um es sich einfacher zu machen. Und dann
gibt es die, die anständig leben wollen, aber es einfach nicht
schaffen.“
Klaudia Dudová hingegen wird vermutlich nicht mehr lange
Nicht-Schauspielerin bleiben. Doch die Anerkennung müsse von außen
kommen, sagt sie. Nun genießt sie erst einmal den Erfolg.
„Mit diesem ersten Film, der ja auch recht erfolgreich war – wir
haben Preise in Trenčín und in Paris gewonnen – haben sich mir schon
einige Türen geöffnet. Ich kann nun an Orte, die vorher für mich
unerreichbar waren, denn dafür fehlt mir das Geld. Und nun lerne ich neue
Menschen kennen, neue Orte…“
Bislang hat Klaudia Dudová nur mit Petr Václav gearbeitet. Film Nummer
zwei ist abgedreht. Es ist kein Roma-Film, sondern ein Familiendrama mit
dem etablierten Schauspieler Karel Roden. Langsam taucht Klaudia Dudová
ein in die Welt des Films.
„Im Sommer werden wir einen dritten Film drehen. Jeder der Filme ist
sehr unterschiedlich. ‚Cesta ven‘, das war einfach ein sehr lebendiger
Film, ein sehr temperamentvoller Film. Er hat den Dreck gezeigt, die Not,
die Trauer und den Hunger, von allem etwas. Der neue Film ist schon eine
andere Kategorie. Und mal sehen, wie der dritte wird.“
Jenseits von Dreharbeiten und Filmfestivals ist im Alltag von Klaudia
Dudová vieles beim Alten geblieben. Nach wie vor lebt sie mit ihrer
Tochter bei den Eltern in einer Wohnung in Ústí nad Labem. Und vorerst
soll sich daran auch nichts ändern.
„Zuhause ist alles wie immer. Ich bin immer noch die Tochter meiner
Eltern. Natürlich sind meine Eltern sehr stolz und nun so etwas wie Fans
von mir. Aber ansonsten ist alles wie immer. Da ich nun sehr viel gereist
bin, hat meine Mutter auf meine Tochter aufgepasst. Die Eltern helfen mir
sehr, und meine Tochter ist an ihre Großeltern gewöhnt. Und was ich
plane? Ich kann nur sagen, dass ich gerade keine Beziehung oder weitere
Kinder plane. Es könnte so bleiben wie es ist.“
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