„Roma-Frauen in der Politik eine Stimme verleihen“ - Eva v. d. Rakt
über ein spezielles Trainingsprogramm
Acht Studentinnen aus der Minderheit der Roma haben am vergangenen
Wochenende in Prag feierlich Diplome überreicht bekommen. Es war eine
Auszeichnung für die erfolgreiche Teilnahme an einem einjährigen
politischen Training der Heinrich-Böll-Stiftung. Die Grünen-nahe deutsche
Stiftung möchte damit Roma-Frauen (Romnia) motivieren, sich politisch zu
engagieren und selbst zu Entscheidungsträgern zu werden. Und damit sollen
sie auch das Klischee von Roma als ungebildeten, passiven
Sozialhilfeempfängern am eigenen Beispiel widerlegen. Dazu ein Gespräch
mit Eva van de Rakt, Leiterin des Prager Büros der
Heinrich-Böll-Stiftung.
Frau van de Rakt, die Heinrich-Böll-Stiftung veranstaltet seit mehreren
Jahren ein politisches Training für junge Roma-Studentinnen. Was ist das
Ziel dieser Veranstaltungen?
„Das Ziel dieser Bildungsmaßnahmen, die wir in Zusammenarbeit mit der
Menschenrechtsorganisation Slovo 21 durchführen, ist die Förderung des
politischen und zivilgesellschaftlichen Engagements von Romnia, unabhängig
von ihrem Alter. Seit 2006 haben wir drei Gruppen von Frauen gefördert,
und 2013/14 haben wir erstmals entschieden, das Programm Studentinnen
anzubieten. Wir verfolgen auch noch ein weiteres Ziel: Wir möchten das
Romnia-Netzwerk Manushe von unserer Partnerorganisation Slovo 21
unterstützen, weil wir die landesweite Vernetzung von Romnia sehr wichtig
finden. Und langfristig möchten wir Roma-Bürgerinnen in der Politik und
Zivilgesellschaft eine Stimme verleihen und uns damit für die
Gleichstellung und die politische und soziale Teilhabe der Roma-Minderheit
in Tschechien und Europa engagieren.“
Wie sehen diese Trainingskurse konkret aus?
„Es handelt sich meist um ein Jahresprogramm, es gibt Wochenendkurse und
im Sommer teilweise ganze Wochenkurse. Es gibt immer einen Theorie- und
einen Praxisteil. Themen der Schulung sind zum Beispiel das politische
System und Parteienspektrum der Tschechischen Republik sowie
Beschäftigungs-, Sozial-, Gesundheitspolitik. Behandelt wird natürlich
auch die Situation von Minderheiten im Bildungssystem, und es bestehen
Kurse zu Rhetorik und Öffentlichkeit. Das Besondere in diesem Jahr war,
dass wir ein Superwahljahr hatten. Es begann ja im Oktober 2013 mit den
vorgezogenen Neuwahlen, dann im Mai die Wahlen zum Europäischen Parlament
und jetzt im Oktober die Kommunal- und Senatswahlen. Das war natürlich
für diesen Kurs sehr, sehr hilfreich, weil man in der Gruppe ganz konkrete
Fragen diskutieren konnte, die mit diesen Wahlen zusammenhingen. Für den
Praxisteil ist wichtig, dass wir auch versuchen, direkte Kontakte
herzustellen. In diesem Jahr fanden viele Gespräche mit Politikerinnen
statt, und die Erfahrung zeigt, dass dies Kernerlebnisse für die Romnia
sind. Sie berichten immer, dass es sie unglaublich motiviert, dann auch
konkret aktiv zu werden. Die Studentinnen haben zudem gemeinsam an kleinen
Projekten gearbeitet, sie haben Diskussionsveranstaltungen organisiert,
eine Gruppe hat einen Clip gedreht. Ich glaube, es war unheimlich wichtig,
dass die Frauen festgestellt haben: ‚Wir können uns engagieren, wir
haben das Zeug dazu und es braucht einfach nur konkrete Erfahrungen, diese
Schritte zu gehen‘.“
Wie werden die Studentinnen ausgewählt? Sie kommen ja aus ganz
Tschechien...
„Die Auswahl ist hauptsächlich Aufgabe unserer Partnerorganisation
Slovo 21, und konkret von der Romnia-Gruppe Manushe. Es handelt sich um ein
klassisches Bewerbungsverfahren: Es gibt also eine Ausschreibung, die über
unsere Netzwerke gestreut wird. Manushe spricht aber auch ganz gezielt
Frauen an, die sie motivieren möchte, an diesem Kurs teilzunehmen. Die
Bewerberinnen schicken dann ihren Lebenslauf und ein Motivationsschreiben,
und nach persönlichen Gesprächen wird eine Auswahl getroffen.“
Wie war das Interesse in den letzten Jahren?
„Das Interesse ist durchaus vorhanden. Seit 2006 haben drei Kurse
stattgefunden, und es ist uns immer gelungen, eine Gruppe von zehn sehr
engagierten und motivierten Frauen zusammenzustellen. Ich würde sagen, das
ist ein ziemlicher Erfolg. Denn es handelt sich ja um ein sehr intensives
Programm - und allen ist klar, dass sie ein Jahr lang relativ viel Zeit
investieren müssen.“
Die Frauen, die gefördert werden, sind Ausnahmen. Sie zählen zu einer
kleinen Elite. Die meisten Roma schaffen es gar nicht erst auf ein
Gymnasium, geschweige denn auf die Universität. Fördern Sie also nicht
diejenigen, die ohnehin schon auf einem guten Weg sind?
„Ich finde, das eine schließt das andere ja nicht aus. Natürlich
stimmt es, man muss unterschiedliche Zielgruppen mit ganz unterschiedlichen
Bedürfnissen fördern. Aber auf einem guten Weg zu sein, bedeutet ja
nicht, dass man auch über die Zugänge und das Wissen verfügt, wo und wie
man politisch aktiv werden kann und will. Und ich denke, die
Heinrich-Böll-Stiftung und Slovo 21 können diese Zugänge und das Wissen
vermitteln. Slovo 21 setzt sich aber auch sehr für inklusive Bildung ein
und entwickelt in diesem Bereich viele Projekte. Wir haben im vergangenen
Jahr ein Projekt unterstützt, das Roma-Eltern über die Rechte ihrer
Kinder im tschechischen Bildungssystem informiert und sie ermutigt hat,
diese Rechte für ihre Kinder einzufordern.
Was machen die von Ihnen geförderten Studentinnen heute – engagieren
sie sich politisch?
Viele der geschulten Frauen sind heute aktiv, vor allem als Leiterinnen
von NGO-Programmen. Wir sehen ein großes Engagement im
zivilgesellschaftlichen Bereich. Es gab auch Frauen, die kandidiert haben
– sowohl bei den Kommunalwahlen als auch bei den Parlamentswahlen. Das
bewerten wir natürlich als sehr positiv. Man kann jetzt nicht sagen, dass
es viele Frauen gab, die auch wirklich ein Mandat gewonnen haben. Das sehen
wir als langfristige Aufgabe und haben daher ein Alumni-Netzwerk
gegründet, damit die Frauen in Kontakt bleiben und sich weiter austauschen
können. Und für uns wird es dadurch natürlich einfacher möglich, die
Frauen weiterhin zu unterstützen und ihnen Hilfestellung zu geben, gerade
wenn es um das politische Engagement geht.“
Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im Herbst vergangenen Jahres haben
so viele Roma kandidiert wie nie zuvor, viele von ihnen auf Listenplätzen
der Grünen. Sehen Sie das als neuen Trend, dass Roma verstärkt in die
Politik gehen?
„Ja. Wir denken auch, dass dies ein sehr positiver Trend ist. Einige der
Frauen, die an unseren Bildungsmaßnahmen teilgenommen haben, haben sich
für eine Kandidatur entschieden. Man sieht: Der Trend ist, in
verschiedenen Parteien aktiv zu werden. Und das ist ja genau das Wichtige:
dass Roma und Romnia in verschiedenen politischen Parteien vertreten sind
und gehört werden.“
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