Der Verein „Andere Roma“ leistet Hilfe zur Selbsthilfe – mit Fußball
Roma gelten in Tschechien als problematische Minderheit. Viele sind
arbeitslos, häufig ohne Ausbildung und auf staatliche Hilfen aufgewiesen.
Die Kriminalität unter ihnen ist höher als im tschechischen
Bevölkerungsdurchschnitt. Vertreter von Roma-Organisationen beklagen
häufig die Diskriminierung und Vorurteile von Seiten der
Mehrheitsgesellschaft. Der Verein „Andere Roma“ aus dem nordböhmischen
Chanov will zeigen, dass jeder auch unter schwierigen Bedingungen sein
Schicksal in die eigene Hand nehmen kann.
Am Rande des nordböhmischen Most / Brüx gibt es eine große
Plattenbausiedlung namens Chanov. Von der Stadt ist sie durch eine
vierspurige Landtrasse getrennt und auch ihre Bewohner leben separiert. Die
meisten von ihnen sind arbeitslos und pflegen nur wenig Kontakt mit der
Mehrheitsgesellschaft. Kriminalität ist an der Tagesordnung, viele
Wohnungen sind ausgeplündert. Daher hat Chanov seit Jahren den Ruf eines
Roma-Ghettos, um das Fremde einen großen Bogen machen. Vor etwa zwei
Jahren formierte sich jedoch genau dort eine Gruppe von engagierten Roma,
die die triste Situation verbessern möchten. „Aver Roma“ heißt sie,
zu deutsch „Andere Roma“. Die Mitglieder haben einen einfachen Weg
gewählt: Sie spielen Fußball mit den Jugendlichen. Jindřich Vaňo ist
Sekretär des Clubs.
„Am Anfang war es schwierig mit unseren Jungen, sie sind einfach
Heißsporne. Disziplin hat also die höchste Priorität. Wir sagen es ihnen
offen: Als Roma werdet ihr immer genauer beobachtet als andere, viele haben
Angst, wie ihr euch verhalten werdet. Ihr habt viel Temperament, das sich
jedoch nur auf dem Fußballplatz zeigen sollte. Und sie verstehen das. Das
heißt, während andere Teams vor dem Spiel angespornt werden müssen, sind
unsere Jungen eher zu beruhigen. Die Ergebnisse sind schon sichtbar: Wir
sind zum fairsten Team im Bezirk Chomutov / Komotau erklärt worden. Es
passiert sogar, dass sich unsere Gegner auf uns freuen. Unsere Spieler
meckern nicht und tragen keine Konflikte aus, sondern konzentrieren sich
auf das Spiel.“
Der Club FK Chanov spielt mittlerweile in der Kreisliga, und trifft dort
auf Nicht-Roma-Mannschaften. Die erste Saison beendete der Verein sogar auf
dem dritten Platz. Auf diese Weise können die Jungen auch ihre
„weißen“ Altersgenossen kennenlernen und mit einigen sogar
Freundschaft anknüpfen – ein großer Vorteil gegenüber anderen
Roma-Mannschaften, die nur gegen Clubs der Minderheit spielen. Außerdem
werden die Fußballspieler aus Chanov relativ leicht an Schulen aufgenommen
und schaffen es auch, dort zu bestehen. Kindern und Jugendlichen, die wenig
Erfahrung mit den Regeln der Mehrheitsgesellschaft haben, gelingt das
nicht. Irena Petráková ist Angestellte der Stadtverwaltung Most. Sie
hilft dem Verein seit den Anfangstagen:
„Ich erinnere mich an das erste Spiel des Clubs, das ich gesehen habe.
Die Jungen waren wütend, schrien aufeinander ein und fingen beinahe an,
sich zu prügeln. Da hat aber Herr Vaňo eingegriffen und gesagt, wenn ihr
euch so verhaltet, dürfen wir das nächste Mal nicht mehr spielen. So ein
Verhalten wird hier nicht akzeptiert. Er konnte sie wirklich maßregeln und
jedes Problem im Keim ersticken. Auch vulgäre Ausdrücke wurden verboten.
Es kam mir eher so vor, als sei die Gegenseite verwundert, dass sie mit
Roma spielen sollte. Für die „weißen“ Jungen war es wahrscheinlich
das erste Treffen aufeinandertreffen. Und sie haben dabei erkannt, dass man
mit Roma ganz normal umgehen kann.“
„Aver Roma“ möchte seine Aktivitäten noch ausbauen. Einige
Jugendliche begeistern sich für Musik und haben eine Band gegründet. Sie
haben sogar einen alten Musiker gefunden, der sie gerne gratis
unterstützt. Die Band hat aber keinen eigenen Proberaum, und muss
abwechselnd in verschiedenen Garagen spielen. Zwar stehen in Chanov etwa 40
Prozent der Wohnungen leer, die Stadt will sie laut Jindřich Vaňo dennoch
nicht vermieten:
„Wir von „Aver Roma“ können die Räume einfach nicht bekommen. Es
kommt zwar immer wieder vor, dass jemand ohne jede Genehmigung oder Vertrag
in eine leere Wohnung einzieht. Diesen Weg möchten wir aber nicht gehen,
das ist nicht unser Stil. Daher hat die Band nur eingeschränkte
Möglichkeiten zu spielen, das ist schade. Mit Fußball haben wir schon
guten Erfolg gehabt, das ist aber nicht das einzige, was wir machen wollen.
Neben der Band gibt es Mädchen, die Handball spielen wollen. Das Interesse
dafür besteht schon seit langem. Da stehen wir jedoch noch am Anfang.“
An Plänen herrscht in Chanov keinen Mangel, ihre Umsetzung scheitert
häufig aus unterschiedlichen Gründen. František Nistor ist der
stellvertretende Vorsitzende von „Aver Roma“. Er ist der Ansicht, die
Mitglieder seien in ihren Verhandlungen mit Behörden wenig
durchsetzungsstark und müssten noch an Erfahrung gewinnen:
„Am Anfang wollten wir über den Fußball die Jungen beruhigen und zum
Guten motivieren. Dann kamen die Erwachsenen und forderten, dass wir auch
für sie etwas machen sollen. Der Verein wurde größer, heute hat er an
die 80 Mitglieder. Als die Stadtverwaltung über die Renovierung der
Häuser entschieden hat, wollten auf einmal viele mitmachen, um etwas daran
zu verdienen. Wir haben das verhindert und haben gesagt, wir sanieren das,
denn es war unsere Idee. Ich bin selbst dort aufgewachsen und habe viel
Unwesen getrieben. Darum finde ich es richtig, bei der Renovierung selbst
Hand anzulegen. Wir haben begonnen mit verschiedenen Beamten zu verhandeln,
aber die Türen blieben verschlossen. Das ist Politik, die für uns
unverständlich ist.“
Auch Rivalitäten unter den Roma-Organisationen bereiten Probleme. „Aver
Roma“ unterscheidet sich nicht nur durch seinen Focus auf Fußball von
anderen Vereinen. Bereits der Name spiegelt die spezielle Sichtweise auf
die Lage der Roma-Minderheit. Von „Aver Roma“ soll die Minderheit Hilfe
zur Selbsthilfe erhalten und aus eigener Kraft Verbesserungen erreichen.
Die bedingungslose Einhaltung der Gesetze ist eine Grundvoraussetzung –
doch diese Einstellung sei laut dem Verein bei anderen Roma wenig
verbreitet. Aus diesem Grund sei es auch zu Anfeindungen zwischen „Aver
Roma“ und einer Organisation namens „Haus der Roma“ gekommen. Irena
Petráková von der Stadtverwaltung Most erinnert sich an eine Begebenheit:
„Als ich zum ersten Mal mit meiner Kollegin da war, beobachteten wir
eine Gruppe von etwa 40 jungen Fußballern, die mit einem kaputten Ball
trainiert haben. Wir gingen also zu einer anderen Roma-Organisation hier in
der Stadt, die sehr viel finanzielle Unterstützung bekommt. Wir fragten
dort, ob sie diesen Spielern nicht Bälle leihen könnten. Doch die Antwort
lautete Nein. Dabei war die Turnhalle dort leer, niemand war im Haus. Es
kam mir sehr grausam vor, aber ich konnte nichts weiter unternehmen. Meiner
Meinung wissen viele Roma-Organisationen wie man Gelder bekommt, ohne damit
etwas wirklich Hilfreiches anzufangen. Im Einreichen von Anträgen sind sie
erfahren. Dieser Verein hat eine komplette Sportausrüstung, aber Bälle
verleiht er nicht.“
Der Konflikt zwischen den beiden Verbänden erreichte letztes Jahr seinen
Höhepunkt. Die Stadt ließ ein neues Fußballstadion bauen, mit seiner
Verwaltung beauftragte sie jedoch das „Haus der Roma“. Der Verein solle
lediglich die Ordnung überwachen und Aufräumarbeiten übernehmen,
begründete die Stadt ihre Wahl. Die Vertreter von „Aver Roma“ legten
Protest ein und drohten sogar, ihren Fußballclub zu schließen. Am Ende
kam es zu einer Einigung der beiden Gruppen und die Wogen wurden
geglättet. Für Chanov ist das ein erster Schritt, die bestehenden
Rivalitäten zu überwinden, und gemeinsam an einer besseren Zukunft der
Roma zu arbeiten.
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