Dialog in der Mitte Europas über Menschen am Rande
„Menschen am Rande“ – das war das Thema des 23. Brünner Symposiums,
das am vergangenen Wochenende in der südmährischen Metropole stattfand.
Veranstalter der internationalen Konferenz waren die Ackermann-Gemeinde und
die Bernhard-Bolzano-Gesellschaft.
Rund 250 Vertreterinnen und Vertreter aus Deutschland, Österreich, Polen,
Ungarn und Tschechien trafen am Wochenende in Brno / Brünn zusammen, um
einen „Dialog in der Mitte Europas“ zu führen. Unter den Referenten
und Teilnehmern der Rundtischdebatten waren Europaabgeordnete, Minister
sowie Kommunalpolitiker. Diskutiert wurde über den Umgang mit anderen
Kulturen, der eine Art Prüfstein für die Demokratie in unseren Ländern
ist. In den Vorträgen der Referenten spielten dabei die Minderheiten und
deren Stellung in der Gesellschaft eine große Rolle. Dazu bemerkt der
ehemalige österreichische Vizekanzler Erhard Busek:
„Im europäischen Kontext muss man sagen, dass wir eigentlich alle
Minderheiten in diesem Europa sind. Wir haben immer noch dieses nationale
oder national-staatliche Mehrheitsdenken und leiten daraus Ansprüche ab,
die nicht richtig sind. Ich glaube, eine wesentliche Aufgabe der Bildung
ist es, uns daran zu erinnern. Die heutige Migration und die Durchmischung
der Gesellschaften werden uns in dieser Richtung helfen. Nur müssen wir
sie auch zur Kenntnis nehmen.“
Mehrere der tschechischen Diskussionsteilnehmer sind auf die Situation der
Roma im Land eingegangen. Einen für die Minderheit großen Nachteil sahen
sie vor allem im beschränkten Zugang der Roma zur Bildung. Fehlen den
tschechischen Roma Vorbilder? Dazu der Grünen-Vorsitzende, Ondřej Liška:
„Ich glaube, dass man in Tschechien allzu viel über Minderheiten
anstelle mit den Minderheiten spricht. Wir sollen uns vom Konzept der
Politik für die Roma verabschieden, denn wir brauchen eine Politik mit den
Roma. Wir brauchen Kinder und Jugendliche, die gebildet sind, um sich auf
dem Arbeitsmarkt durchzusetzen. Wir brauchen junge Roma-Bürgerrinnen und
Bürger, die an der Dynamik der gesellschaftlichen Prozesse teilnehmen. Es
gibt solche Leute unter der jungen Generation. Aber ein
Durchschnittstscheche – auch wenn ich diesen Begriff ungern benutze –
ist darüber nicht informiert. Dies ist nicht nur ein Fehler der Medien,
sondern es ist eine Schwäche von uns allen, die sich für Politik
interessieren und um eine bessere Politik in diesem Bereich bemühen. Ich
kenne Roma, die Ärzte, Krankenschwestern, Juristen oder Tänzer sind. Aber
von ihnen hört man nichts. Darum bin ich der Meinung, dass es sehr wichtig
ist, insbesondere mit der jungen Generation der Minderheiten zu reden und
ihnen zu sagen: Es ist auch eure Sache. Solange ihr euch nicht engagiert
und aktiv am Leben teilnehmt, wird es kaum besser werden.“
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Symposiums aber haben nicht nur am
Tisch diskutiert. Sie hatten am Samstagnachmittag unter anderem die
Gelegenheit, an einer Führung durch das Brünner Roma-Museum teilzunehmen
oder den Caritasverband Brünn zu besuchen. Beim Verband konnten sie mehr
über die Arbeit der Caritas-Leute mit den Menschen am Rande der
Gesellschaft erfahren. Für Interessenten wurde zudem das Aussiger
Museumsprojekt zur „Geschichte der Deutschen in Böhmen“ vorgestellt.
Fotograf Lukáš Houdek erzählte über seine Kunstprojekte, die er für
eine Brücke zwischen den Menschen hält.
Martin Kastler ist CSU-Politiker und Mitglied des Europäischen
Parlaments. Er ist gleichzeitig Bundesvorsitzender der Ackermann-Gemeinde,
die diesen „Dialog in der Mitte Europas“ schon im Jahr 1991 initiierte.
„Ich glaube, dass es von der Bolzano-Gesellschaft und der
Ackermann-Gemeinde schon etwas mutig war, mit diesem Thema beim 23.
Brünner Symposium in die Diskussion zu steigen. Denn viele unserer
Mitglieder aus Deutschland wie auch aus Tschechien wollen über die
Geschichte, die Gegenwart oder die Zukunft in Europa reden. Aber das man so
ein Thema nimmt, das - genauso wie die ´Menschen am Rande´ - in der
politischen Diskussion in Deutschland wie auch in Tschechien fast außen
vor steht, war schon richtig. Wir haben es bei den Reaktionen gemerkt. Es
gab mehrere Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die wegen dieses Themas auf uns
aufmerksam geworden sind. Als Europa-Politiker kann ich nur sagen: Die
Frage nach dem Umgang mit den Minderheiten, mit den Menschen am Rande, ist
eine Frage, die uns sehr umtreibt. Da braucht man nur an die Roma-Strategie
der EU-Länder zu denken und auch an die Menschen, denen es in der EU nicht
unbedingt gut geht und deren Probleme tabuisiert werden. Dies ist etwas,
was wir als Ackermann-Gemeinde zusammen mit der Bolzano-Gesellschaft aber
thematisieren wollen.“
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