„Ich bin nur Fahrradmechaniker, aber mir kommt es absurd vor“ -
Gespräch zu Anti-Roma-Protesten in Budweis
Tomáš Mařík (25 Jahre) lebt seit über fünf Jahren in der
Plattenbausiedlung Máj am Rande von České Budějovice / Budweis. Dort
haben in den letzten Wochen große und teilweise gewaltsame
Anti-Roma-Demonstrationen stattgefunden. Zwei Jahre lebt er direkt in der
Václav-Volf-Straße, in der die Auseinandersetzungen Mitte Juni ihren Anfang
nahmen: Zwei Kinder bekamen sich auf einem Spielplatz in die Haare, und am
Ende gerieten rund Hundert Erwachsene – Roma und „Weiße“ - in
Konflikt. Seit die Probleme ausbrachen, versucht Tomáš Mařík gemeinsam
mit Anderen, die Situation zu beruhigen. Unter dem Motto „Gewalt ist
keine Lösung“ halten sie mitten in der vermeintlichen Problemzone der
Máj-Siedlung friedliche Treffen ab. Das Gespräch mit Tomáš Mařík
entstand am vergangenen Wochenende.
Herr Mařík, Sie leben hier, stehen aber nicht auf der Seite der
Anti-Roma-Demonstranten, sondern setzen sich heute für ein gewaltfreies
Zusammenleben ein. Warum?
„Als ich gesehen habe, welche Leute hier marschieren wollen, da kam mir
das einfach absurd vor. Warum müssen kleine Nachbarschaftskonflikte mit
solch einer Gewalt beantwortet werden.“
Wie viele Roma leben hier in der Máj-Siedlung und wie viele so genannte
„Weiße“?
„Nach meinen Informationen leben hier rund 400 Roma, in der gesamten
Siedlung leben aber 20.000 Menschen. Die Roma sind also wirklich eine
Minderheit, aber gerade hier in der Václav-Volf-Straße leben sehr viele der
Roma.“
Und wie lebt es sich hier? Wo liegen hier die Probleme? Man hört immer
wieder, ie Atmosphäre hier würde sich zuspitzen...
„Wenn ich mit Leuten – also in diesem Falle ´Weißen´ - im Fahrstuhl
fahre, dann schimpfen sie los, wie schrecklich die Zigeuner draußen auf
der Straße sind. Und solche Sache kann man dann auch zum Beispiel auf
Facebook lesen. Ich habe nicht das Gefühl, dass es hier so problematisch
ist, aber in letzter Zeit verbreiten sich immer mehr dieser unwahren
Informationen.“
Das Leben hier würden Sie also als ruhig beschreiben?
„Einigermaßen ruhig. Das ist natürlich nicht wie auf dem Dorf. Hier
leben auf relativ engem Raum viele Menschen. Da kommen manchmal Konflikte
auf. Hier gibt es in der gesamten Siedlung mit 20.000 Menschen zum Beispiel
nur einen Spielplatz. Das ist zu wenig. Aber insgesamt ist das Leben hier
in Ordnung.“
Seit einigen Jahren werden Roma - auch von Politikern - immer wieder als
„Nichtanpassungsfähige“ bezeichnet. Sind die Roma hier oft „nicht
anpassungsfähig“?
„Einige Leute nervt es, wenn nach 22 Uhr hier noch Lärm ist. Es stimmt
schon, dass es um diese Zeit hier etwas lauter zugeht. Aber gegen
Mitternacht wird es dann auch ruhig. Immer wieder wird gesagt, die Roma
würden nicht arbeiten und nur herumlungern. Aber wenn man hier mit den
Leuten – auch den ´Weißen´ - spricht, dann merkt man, dass die
Menschen in der Siedlung alle die gleichen Probleme, Roma wie Weiße. Alle
suchen Arbeit oder wissen nicht, wie es in einem Monat, in einem Jahr
aussehen wird.“
Und Sie selbst haben Arbeit?
„Ich habe Arbeit. Ich habe mit einem Freund einen Fahrradladen
aufgemacht.“
Bei der Bürgerdiskussion, die Anfang dieser Woche in Budweis stattfand,
war immer wieder zu hören, dass die Leute sich hier in der Siedlung nicht
sicher fühlen. Sind das vorgeschobene Gründe?
„Ich kann nicht für die anderen sprechen, aber ich habe das Gefühl,
dass das übertrieben ist und man nur einen Schuldigen sucht. Wenn man den
Leuten schon despektierlich begegnet, dann kann man nicht erwarten, dass
sie freundlich zurückschauen. Und so ist das, meine ich, mit vielen
Leuten, die behaupten, dass es hier unsicher sei. Sie gehen hier durch und
denken, es ist gefährlich. Wenn ich abends nach Hause komme, um 22 oder 23
Uhr, dann unterhalte ich mich hier mit den Leuten, das ist kein Problem.“
Wie bewerten Sie in dieser Hinsicht die Situation in der Tschechischen
Republik überhaupt, wenn schon ein Konflikt auf dem Spielplatz solche
Folgen hat?
„Die Schuld einfach kurzerhand den Roma zu geben, ist sehr leicht und
auch recht wirksam. Aber einige Medien, einige Politiker - das, was man als
Elite bezeichnet - unterstützen die Leute manchmal in dieser Haltung. Ich
selber stamme aus einer Plattenbau-Siedlung bei Prag. Das wurde in den
Medien als Ghetto bezeichnet. Aber in meine Klasse gingen Roma-Kinder, und
es gab keine Probleme. Einige Roma dort hatten Arbeit, einer sogar zwei
Jobs, damit er die Familie durchbringt. Hier gibt es natürlich Leute, die
nicht arbeiten. Aber die gibt es auch unter den ´Weißen´. Und wenn man
mit den Leuten spricht – egal ob dunkelhäutig oder weiß – dann haben
sie alle die gleichen Probleme. Nur habe ich das Gefühl, dass die
Mehrheitsgesellschaft einen Schuldigen sucht für ihre Situation - und ihn
unter den Roma findet.“
Was müsste sich also im Land ändern, damit es nicht mehr zu solchen
Konflikten kommt?
„Was sich ändern sollte, das kann ich nicht sagen. Bei solch einer
Frage sage ich immer: Ich bin nur Fahrradmechaniker. Mir kommt es nur
absurd vor, wenn die Menschen hier gegen Roma oder Polizeigewalt
demonstrieren. Dabei sollten sie lieber vor dem Regierungssitz in Prag
demonstrieren, wo viele Probleme ihren Ursprung haben, anstatt hier auf
ihre Nachbarn loszugehen. Und als wir gehört haben, dass hier Neonazis
aufmarschieren wollen, da haben wir gedacht, es wäre gut, eine Gegenaktion
zu organisieren. Wir haben einige Leute von der Organisation ‚Konexe’
kontaktiert und wollten etwas tun, was die Gemüter hier beruhigt.“
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