15 Jahre Khamoro - auf den Spuren einer neuen jungen Roma-Elite
Mit Kultur gegen Vorurteile – so ließe sich die Botschaft von Khamoro
auf den Punkt bringen. Das weltweit größte Roma-Festival versteht sich
als eine Art positive Diplomatie: Es möchte den Tschechen sowohl die
vielfältige Kultur als auch die Probleme der Roma-Minderheit näher
bringen. In diesem Jahr feierte Khamoro seinen 15. Geburtstag. Aus diesem
Anlass ein Beitrag zur aktuellen Lage der Roma in Tschechien.
Eine gigantische Torte, 650 Kilo schwer, auf dem zentralen Platz der
Republik in Prag. Der serbische Roma-Künstler Zoran Tairović streicht mit
einem Spachtel verschiedenfarbige Crememassen auf den 650 Kilo schweren
Teig-Korpus. Die Mandala-Form soll das verworrene Labyrinth symbolisieren,
durch das sich jeder Rom in seinem Leben hindurcharbeiten muss, um ein
Stück Torte, ein Stück würdevolles Leben abzubekommen.
Khamoro, das weltweit größte Roma-Festival seiner Art, feiert
Geburtstag. In den 15 Jahren seines Bestehens hat es sich zu einer festen
Größe im Prager Kulturleben etabliert – mit Konzerten, Filmen,
Theaterworkshops, Seminaren. Jelena Silajdžić, die Gründerin des
Festivals, erinnert sich an die Anfänge:
„Zu unserem ersten Abschlusskonzert sind 300 Roma gekommen. Heute haben
wir 3500 bis 4000 Besucher – Roma und Nicht-Roma, Ausländer, bunt
gemischt. Sie reden miteinander, tanzen, trinken Bier. Und genau das ist
der Sinn von Khamoro: die Menschen zusammenzubringen. Die Kultur ist die
beste Brücke dafür. Leider verbinden viele, auch gebildete Menschen, mit
Roma-Kultur vor allem Musik. Gegen dieses Stereotyp kämpft unser Konzert
seit 15 Jahren an.“
Neben den beim Publikum beliebten Konzerten von Roma-Bands aus ganz Europa
hat Khamoro in den vergangenen Jahren immer wieder auch unbequeme Themen
aufgegriffen. Probleme, die das komplizierte Zusammenleben zwischen den
Roma und der Mehrheitsgesellschaft dominieren: neue Formen des
Antiziganismus in Europa oder das Bild der Roma in den Medien.
Noch nimmt die tschechische Gesellschaft die Roma, die größte Minderheit
im Land, überwiegend als kriminelle Außenseiter wahr. Soziale Ghettos mit
einer Arbeitslosenrate von über 90 Prozent, ein Schulsystem, das
Roma-Kinder auf Sonderschulen für geistig Behinderte abschiebt,
Verschuldung, Perspektivlosigkeit - das ist die Lebensrealität vieler Roma
in Tschechien. Seit einigen Jahren wird dazu die Stimmung in der
Gesellschaft aggressiver. Es gab wiederholt Brandanschläge auf
Roma-Häuser, Naziaufmärsche in verschiedenen Städten gehören fast schon
zum Alltag. Laut einer aktuellen Umfrage würden 40 Prozent der
tschechischen Schüler zwischen 12 und 15 Jahren an einem Marsch gegen Roma
teilnehmen.
Dieser latente Rassismus gegen die zwei Prozent Roma im Land werde noch
verstärkt durch die Wirtschaftskrise, die immer mehr Tschechen zu spüren
bekommen, beobachtet der Regisseur Filip Remunda. In seinem neuen, viel
diskutierten Dokumentarfilm „Leben und Tod in Tannwald“ – der auch
auf dem Festival gezeigt wurde - ist Remunda dem rassistisch motivierten
Mord an einem Rom in Nordböhmen nachgegangen:
„Die Xenophobie in der Tannwalder Bevölkerung wurde ganz eindeutig
durch die Schließung der Textilfabriken gefördert. Früher haben Roma und
Nicht-Roma zusammen in einer Fabrik gearbeitet. Man kannte sich, und es gab
keine Angst vor dem Unbekannten. Durch den Zerfall der sozialen Strukturen
hat sich das radikal geändert.“
Geändert hat sich aber auch etwas anderes: Es gibt eine stetig wachsende
Schicht junger, gebildeter Roma, die trotz ungleicher Startbedingungen
Karriere machen und den gängigen Klischees ihr eigenes, positives Beispiel
entgegensetzen. Jelena Silajdžić:
„Diese jungen Menschen wollen wir ermutigen, noch mehr für andere Roma
zu tun – als Mentoren, Multiplikatoren, Lektoren. Damit sich eine neue,
organisierte Roma-Elite herausbildet.“
Mehr als 50 junge Roma aus Mittel- und Osteuropa hat das Team von Jelena
Silajdžić dieses Jahr zum Seminar „Junge Roma in Europa“ eingeladen.
Die Verständigung findet, ganz selbstverständlich, auf Englisch statt.
Eine der Teilnehmerinnen ist Gabriela Hrabaňová. Sie ist Anfang 30 und
war nach ihrem Studium für mehrere tschechische NGOs sowie den damaligen
Regierungsrat für Roma-Angelegenheiten tätig. Seit zwei Jahren arbeitet
sie in Brüssel für das Netzwerk Ergo – eine Plattform für europäische
Roma-Graswurzelinitiativen. Jungen Roma, meint Hrabaňová, fehlt es heute
vor allem an Strukturen:
„Es gibt in Tschechien keine einzige Roma-Studentenorganisation. Dabei
könnten gerade Studenten dazu beitragen, dass Roma nicht mehr nur mit
Armut und Sozialhilfe verbunden werden. Aber in der EU sind Roma als
Hilfsbedürftige abgestempelt – alle Projekte orientieren sich daran. Es
wird wenig dafür getan, dass Roma ihr Schicksal selbst in die Hand zu
nehmen lernen.“
Stattdessen, so Hrabaňovás Erfahrung, werden Roma-Projekte in Brüssel
vor allem von Nicht-Roma geplant:
„Wir brauchen mehr Roma-Expertise und -partizipation. Seit 20 Jahren
läuft es so, dass die Betroffenen nicht in die Planung von Roma-Projekten
einbezogen werden. 2012 waren bei der Europäischen Roma-Plattform zum
Beispiel von 29 Sprechern nur zwei Roma. Das ist so, als wenn wir von
Frauenemanzipation sprechen und die Frauen außen vorlassen.“
Ein Fazit, das nachdenklich stimmt. Zumal mehrere EU-Länder, darunter
Tschechien, vor acht Jahren eine „Dekade der Roma-Inklusion“ ausgerufen
haben und seitdem etliche europäische Gelder in entsprechende Projekte
geflossen sind. Dennoch stimmt der Blick auf die jungen, selbstbewussten
Seminarteilnehmer positiv. Für Stanislav Daniel vom Roma-Bildungsfonds in
Budapest ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich mehr Roma in
europäischen Führungspositionen durchsetzen:
„Es gibt immer mehr Roma, die an der Uni studieren. Wir vergeben jedes
Jahr Stipendien an Roma-Studenten aus 14 europäischen Ländern. Die Zahl
der Antragsteller wächst von Jahr zu Jahr. Und auch die Zahl der
bewilligten Anträge. Gegenwärtig fördern wir 1500 Studierende. Das
Potenzial ist also da.“
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