Lager Hodonín u Kunštátu 1940-1950: Verbrechen und menschliche
Tragödien
Vor 70 Jahren begann dort im Namen der nationalsozialistischen
Rassenideologie der Holocaust an mährischen Sinti und Roma. Nur sieben
Jahre später, diesmal im Namen der kommunistischen Ideologie, wurden dort
Menschen durch Zwangsarbeit umerzogen. Trotzdem ist der Name des
geschichtlich belasteten Ortes und der heutigen Gedenkstätte Hodonín u
Kunštátu einem Großteil der heutigen Tschechen nicht geläufig. Was an
dem Ort in Südmähren geschah, war hierzulande über Jahrzehnte ein Tabu.
Mehr über die Geschichte des Lagers in einem weiteren Kapitel aus der
tschechischen Geschichte. Wir knüpfen an unser Thema der Vorwoche an:
„Der Holocaust an den Roma im Protektorat Böhmen und Mähren“.
Strafarbeitslager, Internierungslager, Zigeunerlager, Übungsstätte der
deutschen Wehrmacht, Lager der rumänischen Armee, Lazarett der
sowjetischen Roten Armee, Internierungslager für Sudetendeutsche,
Sommerlager für Jugendliche und Zwangsarbeitslager: All diese Funktionen
hatte das Holzbarackenlager im südmährischen Hodonín u Kunštátu im
Laufe von nur zehn Jahren.
Bereits ab Herbst 1938 und verstärkt dann nach der deutschen Besetzung
und der Ausrufung des Protektorats Böhmen und Mähren im März 1939 wurden
landesweit so genannte Straf- und Internierungslager errichtet. Ihre
damalige Funktion erläutert der Historiker Michal Stehlík von der Prager
Karlsuniversität:
„In den Arbeitslagern, die vom Verteidigungsministerium verwaltet
wurden, sollten - wie es offiziell hieß - ´arbeitsscheue Personen´
interniert werden. Darüber hinaus wollte man dadurch auch die schwierige
wirtschaftliche Lage des Landes lösen, indem männliche Arbeitskräfte vor
allem in den für die Republik bedeutenden Industriezweigen eingesetzt
wurden. In dieser Richtung war das Arbeitslager in Hodonín u Kunštátu
eher eine Ausnahme, weil sich in seiner Nähe kein Industriebetrieb befand.
Die Insassen arbeiteten in der Land- und Forstwirtschaft.“
Am Beispiel des Lagers bei Hodonín lasse sich dokumentieren, wie sehr das
Schicksal eines gottverlassenen Ortes durch die Geschichte beeinflusst
werden könne.
„Nach seiner Entstehung wurde das Lager in das System derartiger
Einrichtungen im deutsch besetzten Protektoratsgebiet eingebunden. Seit dem
10. August 1940 galt es offiziell als Straf-Arbeitslager, seine Größe war
für rund 200 Menschen angelegt. Laut vorhandenen Statistiken belief sich
die Zahl der Internierten bis Januar 1942 auf höchstens 250. Der Anteil
der Roma lag damals zwischen zehn und zwölf Prozent“, so Michal
Stehlík.
Bis Sommer 1942 wurden die Arbeitslager von tschechischen Polizisten
bewacht. Das änderte sich aber dann: Die reichsdeutsche
Protektoratsverwaltung verschärfte die Gangart und orientierte sich dabei
an der NS-Rassenpolitik. In der Folge wurden zwei Arbeitslager in so
genannte Zigeuner-Lager „umfunktioniert“. Hodonín war für die in
Mähren beheimateten Roma bestimmt, für die in Böhmen lebenden Roma wurde
Lety u Písku ausgewählt. Anfang August 1942 wurden die ersten Opfer in
diese Lager verschleppt. Es begann ein tragisches Kapitel der tschechischen
Geschichte: der hierzulande häufig vergessene Völkermord an den Roma.
Michal Stehlík:
„Schon im August 1942 wurden 1169 Angehörige der als minderwertig
eingestuften Bevölkerungsgruppe in Hodonín eingesperrt. Etwas später
erhöhte sich die Zahl auf 1236. Ursprünglich war das Lager für 200
Menschen konzipiert worden, diese Kapazität wurde weit übertroffen.“
Die unerträglichen Zustände im Lager führten zu Unterernährung und
Epidemien. In Hodonín starben zwischen August 1942 und September 1943 etwa
200 Internierte. Die meisten der hier eingesperrten Roma wurden allerdings
nach Auschwitz deportiert und dort von den Nazis umgebracht.
Der erste Zug nach Auschwitz verließ Hodonín am 7. Dezember 1942:
Insgesamt 91 Männer, Frauen und Kinder wurden in das schlesische
Vernichtungslager gebracht. Am 21. August 1943 folgte der zweite und letzte
Roma-Transport aus diesem Lager. Wie schnell er durchgeführt wurde, belegt
der Historiker Stehlík mit konkreten Angaben:
„In den Nachmittagsstunden des 21. August werden 741 Menschen zum nahe
gelegenen Bahnhof gebracht. Kurz nach 21 Uhr kommt der Zug in Brünn an,
und schon um halb zehn abends setzt er sich wieder in Bewegung. Halb drei
in der Früh ist Ankunft in Mährisch Ostrau, wo die Protektoratspolizei
die Waggons deutschen Sicherheitskräften übergibt. Um halb sieben
verlässt der Zug Ostrau und kommt nach rund 48 Stunden im
Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau an. Dort finden alle Insassen den Tod
in den Gaskammern.“
In Hodonín blieben danach nur noch 62 inhaftierte Roma zurück. Aber auch
von ihnen entkamen die meisten nicht dem Tod: Nur sehr wenige überlebten.
So war das „Zigeuner-Lager“ zur Todesrampe geworden, doch der Krieg war
noch nicht vorbei. Michal Stehlík:
„1944 dient das Lagerareal als Übungsplatz für Soldaten der deutschen
Wehrmacht - konkret für die Grenzpolizei und Panzergranatenwerfer. Kurz
vor der Befreiung der Tschechoslowakei im Mai 1945 befinden sich auf dem
Gelände auch Einheiten der rumänischen Armee, gefolgt von der Roten
Armee, die dort ein Lazarett für 700 Soldaten einrichtet. Ein Teil der
Verwundeten überlebt nicht und wird in der Nähe begraben.“
Nach Kriegsende beginnt ein neues Kapitel in der Geschichte des
südmährischen Ortes. Die Holzbaracken des ehemaligen Roma-Lagers füllen
sich in schneller Folge erneut: Von Dezember 1945 bis Oktober 1946 werden
dort Sudetendeutsche interniert, die aus Gesundheitsgründen nicht in
Transporten aus der Tschechoslowakei vertrieben wurden. Zwischen Februar
1949 und November 1950 werden andersdenkende Tschechen inhaftiert, um sie
im Sinn der kommunistischen Ideologie umzuerziehen. Doch dafür erweist
sich der Ort schnell als ungeeignet, erläutert Michal Stehlík:
„In der nahen Umgebung von Hodonín u Kunštátu befand sich kein
größerer Industriebetrieb, kein Bergwerk oder eine ähnliche
Produktionsstätte, in der die Inhaftierten hätten arbeiten können.
Arbeitsmöglichkeiten gab es, wie bereits gesagt, nur in der Land- und
Forstwirtschaft, eventuell auch beim Straßenbau. Das hätte dem Staat aber
keinen großen wirtschaftlichen Nutzen gebracht. Daher verzichtete man
schon nach einem Jahr auf diese Beschäftigung der Insassen. Aber ganz
menschenleer blieb das Lager auch danach nicht. Eine Zeitlang wurden dort
im Schnitt 250 bis 300 Menschen festgehalten - vor allem Angehörige der
Mittelschicht oder - wie es damals hieß - der Bourgeoisie aus Brünn und
der Gegend Blansko.“
Ende 1950 wurde das Lager definitiv geschlossen. Ein Teil der Häftlinge
wurde etappenweise freigelassen. Die Anderen wurden vor Gericht gestellt
und als Feinde des Staates verurteilt. Damit schließt sich die kurze
Geschichte des Lagers in Hodonín. Stehlík fasst zusammen:
„Man wird schwerlich einen anderen Ort in der ehemaligen
Tschechoslowakei beziehungsweise in Tschechien finden, an dem sich ebenso
viele menschliche Tragödien in einer so kurzen Zeit abgespielt haben und
an dem Verbrechen an so unterschiedlichen Gruppen von Menschen begangen
wurden.“
In Hodonín u Kunštátu wird derzeit eine Gedenkstätte eingerichtet. Der
tschechische Staat hat das zuvor in Privathand befindliche Gelände
gekauft, die Pläne für seine Umgestaltung haben etwas konkretere Formen
erhalten. Die einzige erhalten gebliebene Holzbaracke des ehemaligen Lagers
wurde in ihrer ursprünglichen Gestalt renoviert und im Sommer dieses
Jahres der Öffentlichkeit bei einer Gedenkfeier gezeigt. Die Eröffnung
der Gedenkstätte ist für 2016 vorgesehen.
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