„Facebook dient als Mobilisierungszentrum“ – Neue Studie zum
Rechtsextremismus in Tschechien
Das tschechische Innenministerium hat eine neue Studie zu Rechtsextremismus
veröffentlicht. Demnach gibt es eine Szene von 4000 Aktivisten und einen
harten Kern von etwa 400 Gewaltbereiten. Aufgrund dessen müsse in den
nächsten Jahren auch immer wieder mit Übergriffen auf die Roma-Minderheit
gerechnet werden. Im Interview mit Radio Prag erläutert der Politologe
Miroslav Mareš, leitender Autor der Studie und Extremismusexperte an der
Brünner Masaryk-Universität, die derzeitige Neonazi-Szene in Tschechien.
Herr Mareš, noch vor zwei Jahren sah es so aus, als wären die Neonazis in
der Tschechischen Republik auf dem Rückzug. Wie kommt es nun zur
derzeitigen Stärkung der Extremisten?
„Die Zahl der Aktivisten ist relativ stabil. Vor zwei Jahren waren diese
Aktivisten noch im Untergrund. Aber jetzt sind sie wieder sichtbarer in der
Öffentlichkeit. Diese Neonazis versuchen, die Bürger-Proteste in
Nordböhmen (gegen die Roma, Anm. d. R.) für eigene Zwecke zu nutzen. Es
lässt sich also eine Erneuerung der politischen Aktivitäten der Neonazis
erkennen, sowie neue Formen der öffentlichen Präsenz, eine neue Welle von
Demonstrationen und auch eine Mobilisierung jüngerer Anhänger.“
Der Bericht spricht von einer sehr jungen Facebook-Generation. Was genau
muss man darunter verstehen?
„Dabei handelt es sich um relativ junge Leute. Die haben noch keine
festen Kontakte zu dieser Hardcore-Szene, zu diesem harten Kern der
neonazistischen Szene, aber sie werden durch die Propaganda im Internet
mobilisiert. Sie sind sehr aktiv in verschiedenen Facebook-Gruppen, die
eine rassistische oder neonazistische Ausrichtung haben. Sie sind verbal
aggressiv, aber nicht aktiv im Straßenkampf oder bei Demonstrationen.
Facebook dient schon als Mobilisierungszentrum für diese sehr jungen Leute
aus dem Teenagerbereich.“
Ist die Neonazi-Szene in Tschechien eine politische Szene, also
ideologisch geprägt, oder eher von der Straße dominiert?
„Es gibt beide Richtungen. Es gibt Straßencliquen und ähnliche
Gruppierungen einschließlich militanter und paramilitärischer Gruppen
aber es gibt auch die Versuche, die Parteien für ihre Zwecke zu nutzen. Es
lässt sich eine Verbindung zwischen Neonazi-Szene und der
Jugendorganisation der Arbeiterpartei der sozialen Gerechtigkeit (DSSS)
erkennen. Diese Organisation heißt Arbeiterjugend.“
Der Bericht rechnet mit weiteren Ausschreitungen gegenüber den Roma in
den nächsten fünf Jahren. Was befürchten Sie da?
„Das war paradox, die großen Unruhen im letzten Jahr im Schluckenauer
Zipfel im Norden Tschechiens wurden meistens von den Bürgern organisiert
und nicht von den Neonazis, die aber versuchten, diese Proteste zu nutzen.
Die Neonazis müssen jetzt erkennen, dass die relativ etablierten
politischen Kräfte stark Anti-Roma orientiert sind und auch in
verschiedenen regionalen politischen Gruppierungen lassen sich klare
rassistische Äußerungen finden. Die Neonazis müssen deshalb noch
radikaler werden, daher kann die Situation zu noch stärkeren Angriffen auf
die Roma-Gemeinschaften führen.“
Welche Gegenmaßnahmen empfiehlt der Bericht der Regierung? Was kann der
Staat gegen diese Extremisten tun?
„Unsere Empfehlung in der Studie geht in Richtung Prävention. Wir
müssen mehr Wert auf die Prävention legen, bisher war die Politik
meistens auf Repression ausgerichtet aber nun tauchen viele junge Leute
auf, die sich in der Szene engagieren. In Deutschland gibt es ähnliche
Phänome, zum Beispiel die Zwei-Generationen Neonazi-Familien, in denen
sowohl die Eltern als auch die Kinder Neonazis sind. Dazu brauchen wir eine
primäre sowie eine sekundäre Prävention. In vielen Bereichen muss die
Schule aktiv werden, aber manchmal müssen die Sozialarbeiter aktiv werden
gegen die Erziehung in rassistischen oder neonazistischen Famillien.“
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