Roma-Vertreter einigen sich auf Gründung eines überregionalen Verband
Bereits seit den Sommermonaten ist die Lage der Roma-Minderheit in
Tschechien immer wieder ein Thema. Damals waren im Schluckenauer Zipfel in
Nordböhmen nach mehreren Schlägereien Demonstrationen gegen Roma
ausgebrochen. Jedes Wochenende veranstalteten Rechtsextreme Kundgebungen,
denen sich aber auch die örtliche Bevölkerung anschloss. Am Mittwoch
vergangener Woche stellte die Regierung in Prag einen Bericht über die
soziale Lage der Roma vor – und am Freitag trafen sich Vertreter
verschiedener Roma-Organisationen zu einer republikweiten Konferenz.
Der Bericht der Regierung zur sozialen Lage der Roma-Minderheit ist wenig
optimistisch: Größte Probleme bereiten weiterhin die hohe
Arbeitslosigkeit, der geringe Bildungsstand und die schlechte Bezahlung.
Auch Schwierigkeiten in der medizinischen Versorgung wurden angesprochen:
Roma träfen in öffentlichen Einrichtungen oft auf Diskriminierung, so
auch in Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge. Allerdings gibt der Bericht
den Roma auch eine Mitschuld. Durch einen ungesunden Lebensstil und die
Vernachlässigung von präventiven Maßnahmen, wie zum Beispiel das Impfen
von Kindern, trügen sie zu ihrem schlechten Gesundheitszustand bei. Hinzu
kommt, dass ihre Wohnungen oftmals von geringer Qualität sind und sich in
„sozial ausgeschlossenen Vierteln“ befinden. All das hat man schon oft
gehört. Jan Černý von der Menschenrechtsorganisation „Člověk v
tísni“ (Mensch in Not) kritisiert den Bericht:
„Dieser Bericht handelt mehrheitlich von sozialen Problemen, auch wenn
es laut seinem Titel um Roma, Roma-Familien und Roma-Gemeinschaften gehen
soll. Ich denke der Titel ist inadäquat, im Mittelpunkt sollten eigentlich
die Roma-Gemeinschaften stehen, aber tatsächlich referiert er nur über
die negativen Aspekte dieser Gemeinschaften.“
Die Lösung der sozialen Probleme sieht die derzeitige Regierung darin,
den Kindern eine vollwertige Ausbildung zu ermöglichen und mehr Roma zu
einer Arbeit zu verhelfen. Im Fall des Schluckenauer Zipfels kündigte
Monika Šimůnková, Menschenrechtsbeauftragte der Regierung, nun konkrete
Schritte an:
„Es ist uns gelungen, eine so genannte Aktionsgruppe einzurichten, eine
Gruppe der örtlichen Partnerschaft. Das bedeutet, vor Ort die wichtigsten
Akteure zusammenzubringen, die etwas zur Verbesserung dieser sozial
ausgeschlossenen Gegenden beitragen können. Dazu gehören die Rathäuser,
die Nichtregierungsorganisationen und die Polizei. Ich habe darüber mit
dem ersten Stellvertreter des Innenministers und dem Polizeichef verhandelt
und konnte erreichen, dass dieser Aktionsgruppe auch Mitarbeiter des
Innenministeriums angehören werden, die sich mit der Prävention von
Kriminalität beschäftigen. Weiter sollen dieser Gruppe auch staatliche
und regionale Polizisten angehören, die sich vor Ort auskennen. Alle
Institutionen, die etwas zur Problematik sagen können und ein Interesse an
der Lösung der Probleme haben, arbeiten somit zusammen und können
gemeinsam die Situation lösen.“
In weiteren Schritten soll die Wohnsituation verbessert werden bis hin zu
regulären Mietverhältnissen. Zusätzlich sollen durch die Vergabe
öffentlicher Aufträge Arbeitsplätze geschaffen werden. Gerade für den
Fall des Schluckenauers Zipfel aber wiegelt Jan Černý von „Člověk v
tísni“ ab:
„Die Sache hat einen spezifisch lokalen Charakter, es Herbergen vor Ort,
die von der Stadt verwaltet werden wie von einer örtlichen Mafia, die dort
wie Wucherer verfährt. Eigentlich leben alle in Ruhe miteinander, und
jetzt haben alle das Gefühl, der Staat müsse seine Sozialpolitik
ändern.“
Ein Grund dafür mag auch im Zentralismus der Tschechischen Republik
liegen. Das Finanzministerium entscheidet hier über Müllgebühren, das
Verkehrsministerium über Regionalzugverbindungen, und nach den ersten
Schlägereien im Schluckenauer Zipfel haben die Gemeinden sofort das
Innenministerium und den Premierminister aufgerufen einzugreifen. Schwer
vorstellbar also, dass sich Lösungen nur auf lokaler Ebene finden lassen.
Einen Schritt in die andere Richtung möchten die Roma selbst machen. Es
gibt nahezu in jeder Stadt eine lokale Roma-Organisation – ein
gemeinsamer Interessensverband existiert allerdings nicht. Einige
Aktivisten sehen nun – nach den Demonstrationen gegen Roma im
Schluckenauer Zipfel und nach dem negativen Bericht der Regierung – die
Zeit gekommen, eine solche zentrale Organisation aus der Taufe zu heben.
Dieses Thema beherrschte die gesamtstaatliche Konferenz der Roma in Brno /
Brünn am Freitag. Stanislav Daniel von einer Roma-Organisation in Hodonín
/ Göding in Südmähren:
„Es gibt eine große Zahl politischer Parteien und eine große Zahl an
Roma-Vereinigungen. Wir Roma-Vertreter müssen erkennen, dass es nicht
geht, einen Verein zu gründen, der sich dann nur um einen Teil der
Gemeinschaft kümmert oder nur um die eigene Familie und Freunde. Wir
müssen uns um alle kümmern.“
Vor der Konferenz in Brünn riefen einige Aktivisten dazu auf, eine
politische Partei zu gründen. Nach der politischen Wende von 1989 war
bereits eine solche Partei entstanden. Die Romská občanská iniciativa
(ROI), auf Deutsch Roma-Bürgerinitiative, war bei den ersten
Parlamentswahlen sehr erfolgreich. Sie konnte sich acht Mandate sichern,
später scheiterte sie allerdings an internen Streitereien und befindet
sich derzeit im Insolvenzverfahren. Daher sprachen sich in Brünn auch die
meisten Anwesenden gegen eine Partei aus. Julius Lévay von der
Organisation Dživipen:
„Ich war im Jahr 1990 Mitgründer der Partei ROI. Ich weiß, was das
bedeutet. Eine Partei auf gesamtstaatlicher Ebene zu gründen, das ist der
größte Blödsinn, auf den wir uns jetzt einlassen könnten. Und deshalb
sage ich, dass diese Konferenz nur in einem Sinn gut war: Wir haben uns
alle mal wieder gesehen, gequatscht und uns etwas erzählt – aber ich
glaube nicht, dass die Konferenz einen praktischen Beitrag leisten wird.“
Ganz so pessimistisch waren aber nicht alle Teilnehmer. Vladimír Galbavý
vom Verein für Roma und nationale Minderheiten in Hodonín und
Veranstalter der Konferenz in Brünn plädierte für die Errichtung einer
gesamtstaatlichen Organisation:
„Wir wollten keine Partei gründen. Wir haben uns aber darauf geeinigt,
eine neue Organisation zu gründen. Das bedeutet, es wird sich um eine
Roma-Vereinigung handeln.“
Die Kritik, die geäußert wurde, empfand er eher als konstruktiv und
wertete daher die Konferenz als Erfolg:
„Ich gehe davon aus, dass es auf jeder Konferenz sowohl Zustimmung als
auch Kritik geben muss. Und bei dieser Kritik geht es nur darum, dass wir
uns darauf einigen müssen, auf welche Art sich die Tätigkeit dieser neu
gegründeten Organisation im Rahmen der Tschechischen Republik entfalten
wird.“
Die Gründung einer nichtpolitischen Organisation sieht auch Lévay als
notwendig und als wichtigen Schritt. Zugleich begründet er, warum er einer
Partei gegenüber skeptisch ist:
„Ich bin kein Anhänger einer politischen Roma-Partei – aus
praktischen Erfahrungen. Das alles riecht nach schlechtem Nationalismus.
Wir sind in einer Situation, in der die Mehrheit der Bevölkerung die Roma
nicht akzeptiert. Und würden wir jetzt noch eine Partei gründen – das
wäre wie Öl ins Feuer zu gießen. Also gründen wir einen Verband in
Zusammenarbeit mit der Mehrheit, ein gesellschaftlicher Verband für Roma.
Das würde ich eine Veränderung nennen. Es wird ein Verband sein, mit dem
sich jeder Mensch identifizieren kann, der etwas zu sagen hat und etwas
lösen möchte.“
In näherer Zukunft soll ein Gründungsausschuss zusammentreten, der aus
20 bis 25 Mitgliedern bestehen wird und einen Vorsitzenden und
Stellvertreter wählen soll. Dieser Ausschuss soll dann Standpunkte zu den
Problemfeldern Sicherheit, Arbeitslosigkeit, Sozial- und Wohnungspolitik
entwickeln. Das Ziel der weiteren Arbeit beschreibt Vladimír Galbavý wie
folgt:
„Ziel wird es sein, ein Ansprechpartner zu werden. Ein ernsthafter und
würdiger Partner, der bestehende Probleme in Zusammenarbeit mit der
Regierung und Vertretern des Senats sowie mit der Vereinigung der
Kreishauptleute und natürlich mit allen staatlichen Ämtern kommunizieren
und lösen kann.“
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