Felix Kolmer hat Auschwitz überlebt und spricht dennoch mit Neonazis
In diesen Tagen wird der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz
gedacht. 65 Jahre ist das her. Felix Kolmer – Jahrgang 1922 - war nach
zwei Jahren Inhaftierung in Theresienstadt nach Auschwitz transportiert
worden. Er ist einer der wenigen Menschen, die das Vernichtungslager
überlebt haben. Durch Zufall, Glück und Geistesgegenwart im richtigen
Augenblick war er schließlich in das schlesische KZ Friedland gekommen, wo
er die Befreiung durch die Rote Armee erlebt hat. Christian Rühmkorf hat
den Physiker und Vizepräsidenten des internationalen Auschwitz Komitees
Felix Kolmer in seiner Prager Wohnung besucht und mit ihm über die
Befreiung vom Nationalsozialismus und über den heutigen Rechtsradikalismus
gesprochen.
Herr Professor Kolmer, als 19-Jähriger wurden Sie in das
Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Seit 1944 waren Sie im
Vernichtungslager Auschwitz - und haben überlebt. Dank einer glücklichen
Fügung und Dank ihrer Geistesgegenwart konnten Sie in das schlesische
Konzentrationslager Friedland gelangen. Wie erinnern Sie sich heute an den
Tag der Befreiung?
„Das war sehr abenteuerlich. Die deutsch-sowjetische Front stand 40
Kilometer nördlich von unserem Lager. Zwei Monate lang hat sie sich nicht
gerührt. Jeden Tag hörten wir die Kanonenschüsse. Die Kanonenschüsse
hatten eine sehr schöne Melodie für uns. Es war eine Symphonie der
kommenden Freiheit – vielleicht aber auch des kommenden Todes – das
haben wir nicht gewusst. Aber trotzdem waren sie eine Lösung. Das Lager
war in dem Gebiet von Deutschland, wo die deutsche Wehrmacht den Kampf
nicht aufgegeben hatte. Und die Sowjets haben auch weiter gekämpft. In der
Nacht vom 9./10. Mai hat die sowjetische Luftwaffe eine elektrische Anlage
im Lager bombardiert. Und als wir gesehen haben, dass der Strom am Zaun
unterbrochen worden waren, sind von den 600 Leuten 200 geflüchtet. Ich
gehörte zu den 200 Flüchtlingen. In dieser Nacht sind wir über die Front
gegangen. Das war ein großes Risiko. Denn in der Nacht ist jede ´Kuh´
schwarz, und wir haben gefürchtet, dass die sowjetischen Soldaten nicht
erkennen würden, dass wir befreite ehemalige Häftlinge waren. Aber den
meisten ist es gelungen, und wir kamen zu den Sowjets. Und mit der
sowjetischen Armee sind wir am nächsten Tag wieder nach Friedland
zurückgekommen. Dann waren wir frei, endlich frei.“
Gestatten Sie mir einen Sprung in die Gegenwart. Sie sind später ein
weltweit anerkannter Professor für Physik geworden. Sie engagieren sich
aber auch intensiv gegen das Vergessen: Sie sind Vize-Präsident des
internationalen Auschwitz Komitees. Sie gehen aber auch in die Schulen und
sprechen mit den jungen Leuten, und zwar in Deutschland und in Tschechien.
Wie begegnen diese jungen Menschen Ihnen und Ihrem Schicksal?
„Ich habe gute Erfahrungen gemacht. Ich gehe meistens in die deutschen
Schulen. In die tschechischen Schulen gehe ich nur sehr selten, weil ich
das den anderen überlasse, die nicht Deutsch oder andere Sprachen können.
Diese Menschen sollen also in tschechische Schulen gehen, und ich gehe
lieber in deutsche Schulen, wenn mich jemand einlädt. Und das ist sehr oft
der Fall. Aber es sind nicht nur die Schulen, es sind manchmal auch Orte,
an denen die Neonazis bei den Wahlen oder nach den Wahlen den ´Kopf´ mehr
gezeigt haben. So bin ich von Oberbürgermeistern oder der Gesellschaft
für politische Bildung eingeladen worden, um Vorträge zu halten. Wie zum
Beispiel in Wernigerode in Sachsen-Anhalt oder in Butzbach in Hessen oder
einmal in Würzburg an der Universität in dem extrem-nationalistischen
Studentenverein, also der Burschenschaft ‚Alemannia’.“ Aber mit den
jungen Leuten ging es eigentlich immer. Auch mit den Neonazis in
Wernigerode. Ich habe sie dann in den deutschen Schulen getroffen…“
Die Neonazis kamen in die Schule?
„Ja, die Neonazis waren auch Schüler. Aber ich muss sagen, sie haben
auch ganz vernünftige Fragen gestellt, und ich konnte auch vernünftig
darauf antworten. Also es gab keinen Zwischenfall zwischen den Neonazis und
mir, und da war ich sehr überrascht.“
Der Rechtsradikalismus tritt hier in Tschechien in den letzten Jahren doch
immer lauter in Erscheinung. Die tschechische Regierung versucht jetzt zum
zweiten Mal, die „Dělnická strana“ - die rechtsradikale
Arbeiterpartei verbieten zu lassen. Ist das Ihrer Meinung nach der richtige
Weg, den der Staat einschlägt?
„Ich glaube schon. Ich kenne nicht die Gesetze, aber vielleicht sind die
Gesetz zu schwach, und das ist Sache des Parlamentes. Das muss man auch
überprüfen…“
Aber ein Parteienverbot – wie stehen Sie dazu?
„Ich glaube, es geht. Denn die Neonazis verletzen das Gesetz. Sie
schreien Naziparolen. Sie zeigen auf ihren Fahnen das Hakenkreuz. Und die
Polizei steht immer dabei und greift aber nicht ein, weil sie – jetzt
spreche ich von der Vergangenheit – sich gedacht hat, es ist noch nicht
das Gesetz gebrochen worden. Aber es wurde schon mehrmals gebrochen und sie
haben nicht eingegriffen. Jetzt ist es ein bisschen anders. Jetzt werden
die Polizisten in dieser Sache mehr tätig. Deshalb glaube ich, dass in
diesem Falle die Situation jetzt besser ist als sie früher war. Aber das
erste Gesuch, das in Sachen Parteiauflösung dem Gericht übergeben wurde,
das war von Innenminister Langer sehr schlampig gemacht worden. Er hätte
mehr aufpassen sollen, was man ihm da vorgelegt hat und zwar bevor er es an
die Regierung weitergab und bevor die Regierung es an das Gericht
weiterleitete.“
Blicken Sie optimistisch in die Zukunft, was den Umgang mit
Rechtsradikalismus betrifft? Glauben Sie, dass die Gesellschaft stark genug
ist, sich dagegen zu wehren?
„Das hängt von der sozialen Lage ab. Wenn es den Leuten schlecht geht,
dann neigen sie mehr zum Radikalismus – zum rechten oder linken, das ist
ganz egal. Und es ist Zufall, ob sich der Radikalismus dann auf der rechten
Seiten oder auf der linken Seite äußert. Wer also den größeren Mund hat
– um nicht den Ausdruck ´Maul´ zu verwenden, der gewinnt. Also die
Hauptsache ist, dass es den Leuten besser geht. Und jetzt herrscht gerade
ein Zustand, der nicht ganz gut ist, weil sehr viele Leute ohne Arbeit
sind. Das war auch der Fall in Deutschland, wo ich die Vorträge gehalten
habe. Es war eine Gegend, wo sehr viele Leute keine Arbeit gehabt haben.
Also das geht immer Hand in Hand. Wenn die Krise dann vielleicht
überwunden sein wird, vielleicht wird dann die Gefahr geringer.“
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