Russische Spione und ungarische Verhältnisse
Es ist wieder Zeit für einen Wochenrückblick in den tschechischen
Blätterwald. Hauptthema in den Kommentarspalten war diesmal die
Wirtschaft. Außerdem ging es aber um den diplomatischen Streit mit
Russland. Und auch der Brandanschlag von Vítkov rückte noch einmal ins
Blickfeld.
Moderator: In Vítkov wurde Mitte April ein Brandanschlag auf das Haus
einer Roma-Familie verübt. Dabei wurden drei Menschen schwer verletzt. Ein
zweijähriges Mädchen erlitt Verbrennungen an 80 Prozent ihres Körpers.
Die Polizei vermutete und suchte die Täter in der rechtsradikalen Szene.
Patrick Gschwend: Und sie hat sie dort vergangene Woche auch gefunden. Vier
mutmaßliche Attentäter wurden des versuchten Mordes mit rassistischem
Motiv angeklagt. Einige haben mittlerweile auch gestanden. Petr Kamberský
von der Hospodářské Noviny schrieb dazu:
„In den vier Monaten seit dem Brandanschlag von Vítkov haben die
tschechischen Polizisten ein riesiges Stück Arbeit geleistet. Wenn wir ein
dafür ein großes ‚Danke’ aussprechen, müssen wir leider ein großes
‚Aber’ hinzufügen: Warum hat das so lange gedauert?“
Moderator: Kamberský meint also, die Polizei hätte die Täter früher
finden müssen?
P.G.: Nein, er meint nicht die Dauer der Ermittlungen. Sondern die
gesamten vergangenen 15 Jahre, in der eine ganze Reihe von Anschlägen auf
Roma stattgefunden haben. Die seien weitgehend totgeschwiegen worden. Allen
sei das irgendwie egal gewesen, bemängelt Kamberský. Kein Medium habe aus
einem Brandanschlag eine „Story“ gemacht, die Opfer blieben aus Angst
lieber anonym, die Polizei habe nicht mehr Kräfte als nötig
„verschwendet“, um die Täter zu fassen, und die Politiker der großen
Parteien hätten sich nicht als „Verteidiger von Roma“ profilieren
wollen.“
Moderator: Nun hat der Anschlag von Vítkov nicht zuletzt wegen der
zweijährigen Natálka besondere mediale Aufmerksamkeit erfahren. Das
Mädchen rang monatelang mit dem Tod und hat letztlich wie durch ein Wunder
überlebt. Sie wird aber ihr Leben lang durch Brandnarben entstellt sein.
P.G.: Ja, das greift auch Kamberský auf, wenn er schreibt:
„Wäre da nicht die herzzerreißende Geschichte der zweijährigen
Natálka, wer weiß wie der Fall Vítkov ausgegangen wäre. Hätten
Politiker, Polizisten und wir Journalisten so rasant reagiert, wo wir doch
so viele andere Fälle schon vorbeirauschen ließen? Es ist pathetisch, es
ist hart, es ist wahr: Für die zerstörte Haut des Mädchens, für ihr
gebrandmarktes Leben können wir alle.“
Moderator: Das wirft nicht gerade ein gutes Licht auf die tschechische
Gesellschaft. Aber kommen wir zu einem anderen Thema. Du hast es bereits
angekündigt: Der diplomatische Streit mit Russland. Was war da los?
P.G.: Tschechien hat zwei russische Diplomaten ausgewiesen. Sie sollen
für den russischen Geheimdienst spioniert haben. Welcher Vergehen sie sich
schuldig gemacht haben sollen, war aber gar nicht so sehr das Thema, zumal
ja über „Geheim“-Dienst-Aktivitäten ohnehin nicht viel bekannt wird.
Daniel Kaiser von der Lidové Noviny findet eher die Aussage des russischen
Außenministers Sergej Lawrow bemerkenswert. Der hat nämlich behauptet,
die Ausweisung der russischen Diplomaten sei eine „weitere Provokation“
der Tschechen.
Moderator: Der tschechische Außenminister Jan Kohout hat Lawrow ja ebenso
knapp entgegengehalten, von irgendwelchen tschechischen Provokationen
könne nicht die Rede sein.
P.G.: Das lobt Kaiser auch als einzig richtige Reaktion. Er stellt das
alles aber in einen größeren Zusammenhang und beklagt, der Westen gehe
mit Russland viel zu vorsichtig um.
„Auch zehn Jahre nach der Osterweiterung haben die Planer der Nato noch
keinen Verteidigungsplan gegen eine mögliche russische Invasion in die
östliche Grenze des Bündnisses ausgearbeitet. Der Kreml steigert seine
verbale und ökonomische Aggressivität, der Westen steigert seine
Abhängigkeit von russischen Energiequellen. In einer solchen Situation
bleibt uns nichts anderes übrig, als mit Nachdruck deutlich zu machen:
‚Wir haben uns nichts zuschulden kommen lassen und müssen uns für
nichts rechtfertigen’“, findet Daniel Kaiser von der Lidové Noviny.
Moderator: Patrick, du hast gesagt, das Hauptthema der Woche war die
Wirtschaft. Da ging es sicher um das drastische Staatsdefizit für 2010,
das Finanzminister Eduard Janota am letzten Wochenende prophezeit hat. Er
verglich Tschechien mit Ungarn, das sich ja am Rand des Staatsbankrotts
befindet.
P.G.: Genau. Das schlug ein, wie eine Bombe. Lenka Zlámalová von der
Hospodářské Noviny glaubt, Janota habe das Beste getan, was er als
Beamter während des Wahlkampfes tun konnte. Er verenge den Politikern
nämlich mit seinem Katastrophenszenario den Raum für schlimmsten
Populismus und Wahlkampflügen. Niemand könne nun mehr sagen, er sei nicht
gewarnt worden, schreibt Zlámalová. Und weiter heißt es bei ihr:
„Es lohnt es sich jetzt, die Pläne Janotas aufmerksam zu lesen. Es ist
ziemlich wahrscheinlich, dass - welche neue Regierung auch immer - genau
nach ihnen vorgehen wird.“
Moderator: Janota hat unter anderem eine Erhöhung der Mehrwertsteuer
vorgeschlagen. So ein Plan hat doch sicher auch Protest erregt, oder?
P.G.: Sicher, zum Beispiel den von Jiří Franěk, der in der Zeitung
Právo schrieb:
„Janota rechnet damit, dass alle den Gürtel enger schnallen müssen,
und alle gerecht um ein Löchlein. Allerdings haben manche einen
Gürtelumfang von 80 Zentimetern und andere von 180 Zentimetern.“
Und im Gegensatz zu seiner Kollegin Zlámalová glaubt Franěk von der
Právo nicht an einen positiven Effekt im Wahlkampf.
„Vor den Wahlen passen Katastrophenszenarien zum Glück nicht, jetzt ist
eher die Zeit für unerfüllbare Versprechungen. Die nächste Regierung hat
aber nun einen Blankoscheck in der Tasche. Es reicht, dass sich der Horror
Janotas nur zum Teil erfüllt, dann könnten wir sagen: ‚Eindeutig ist
die Situation besser als vorhergesagt. Sie wollten uns vier Ohrfeigen geben
und sie gaben uns nur eine.’ Und wir werden dafür dankbar sein.“
Moderator: Nun leuchtete ja ein Hoffnungsschimmer am Horizont auf. Das
Bruttoinlandsprodukt ist im zweiten Quartal des Jahres wieder gestiegen.
Zwar nur um 0,3 Prozent, aber immerhin für viele ein Anzeichen, dass man
auf dem Weg heraus aus der Krise ist.
Dem möchte ich einen pessimistischen Kommentar von Milan Vodička
entgegenhalten. Der schrieb nämlich in der Mladá Fronta Dnes:
„Ein lächelnder Fernsehfrosch plappert, die Regengüsse hätten nun ein
Ende, und die Sonne scheine wieder. Aber die Menschen waten immer noch
durch kniehohes Wasser und tragen die zerstörten Möbel aus ihren
überschwemmten Häusern. Die Krise hört nicht auf wie ein Film im Kino,
wenn das Licht wieder angeht. Wer gerade seine Arbeit verloren hat, der hat
nicht das Schlimmste hinter sich. Wer seine Arbeit noch nicht verloren hat,
der kann sie immer noch verlieren. Gerne würde ich mich irren. Ich
fürchte aber ich irre mich nicht.“
Moderator: Hoffen wir, Milan Vodička irrt sich doch!
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