Regierungsbericht: Tschechische Roma in vielen Bereichen diskriminiert
Vergangene Woche hat der tschechische Minister für Menschenrechte, Michael
Kocáb, der Regierung einen knapp 400 Seiten starken Bericht über die Lage
der Roma im Land vorgelegt. Das Kabinett stimmte dem Bericht zu und räumte
damit ein, dass tschechische Roma in mehreren Lebensbereichen nach wie vor
mit Diskriminierung zu kämpfen haben. Die Aufmerksamkeit der
Öffentlichkeit war der Analyse gewiss: Erst eine Woche zuvor hatte Kanada
für Tschechen die Visumpflicht eingeführt, weil immer mehr tschechische
Roma nach Kanada gereist waren, um dort um politisches Asyl anzusuchen.
In diesen Tagen sind sie keine Seltenheit: Demonstrationen von
Rechtsradikalen in Prag. Bereits im Vorfeld der Wahlen zum Europaparlament
sind die Anhänger rechtsextremer Parteien in Tschechien auf die Straße
gegangen. Es folgten Verhaftungen und weitere Demonstrationen. Der Anstieg
von rechtsradikalen Umtrieben ist laut dem aktuellen Bericht über die Lage
der Roma in Tschechien einer der Hauptgründe dafür, dass zuletzt immer
mehr Roma das Land verlassen und im Ausland um Asyl angesucht haben. Vor
allem in Kanada. Die Folge: Kanada hat Mitte Juli für Tschechen die
Visumpflicht eingeführt.
Der Bericht nennt gleich mehrere Bereiche, in denen die Integration der
Roma in die tschechische Gesellschaft nicht so richtig klappt. Das
Bildungswesen zum Beispiel. Nach wie vor werden 30 Prozent der Roma-Kinder
auf Sonderschulen geschickt – unter den Nicht-Roma sind es nur etwas mehr
als zwei Prozent. Ivan Veselý, der stellvertretende Vorsitzende des Rates
für Roma-Angelegenheiten:
„Ich kann mich mit dem Inhalt des Berichts weitgehend identifizieren.
Auch ich sehe ein großes Problem in der niedrigen Bildung der Roma. Damit
haben die Roma nur minimale Möglichkeiten, sich auf dem Arbeitsmarkt zu
bewähren. Ein weiteres Problem besteht in der Ghettobildung. In Tschechien
gibt es derzeit etwa 300 Ghettos, die allesamt nach der Revolution
entstanden sind. Und ich sehe auch ein großes Problem in der alltäglichen
Diskriminierung der Roma in der Tschechischen Republik.“
Vorgelegt hat den Bericht Michael Kocáb, der tschechische Minister für
Menschenrechte. Wenn er hartnäckig auf die Probleme der Roma hinweist,
dann begibt er sich quasi automatisch in die rhetorische Zwickmühle. Denn
je stärker er die herrschenden Zustände kritisiert, desto mehr setzt er
sich der Kritik aus, selbst nicht erfolgreich genug gewesen zu sein. Kocáb
aber erinnert an die lange Geschichte des Integrationsproblems, das man
nicht von heute auf morgen lösen könne, und auch an seinen
eingeschränkten Handlungsspielraum:
„Der Minister für Menschenrechte hat nur eine Koordinierungsfunktion.
Es steht ihm kein selbstständiger Budgetanteil zur Verfügung. Daher bin
für konkrete Anliegen nicht nur ich ein Ansprechpartner, sondern auch der
Schulminister, der Sozialminister, der Gesundheitsminister, der
Innenminister, oder der Minister für Regionalentwicklung. Das sind jene
Ministerien, die die entsprechenden Mittel haben und die Maßnahmen
umsetzen müssen, die ihnen das Gesetz vorschreibt. Die Arbeit kann in
diesen Ministerien also genauer definiert werden, und man kann dort viel
konsequenter vorgehen.“
Vieles, so Kocáb, müsse auch auf Gemeindeebene angegangen werden:
„Die Selbstverwaltungen der Gemeinden haben viel Einfluss, zum Beispiel
im Schulwesen. Der Zugang zur Bildung liegt also auch in ihrer
Verantwortung. Häufig bemühen sich die Gemeinden sehr intensiv und mit
geeigneten Mitteln um die Integration der Roma. Häufig greifen sie aber
auch zu unglücklichen Maßnahmen, so wie wir das zum Beispiel in Chomutov
erlebt haben.“
Chomutov, das ist jene nordböhmische Stadt, wo die Bürgermeisterin all
denen, die bei der Gemeinde etwa Mietschulden hatten, sofort nach der
Auszahlung die Sozialhilfe pfänden ließ. Die meisten davon waren Roma.
Michael Kocáb war daraufhin mit der Bürgermeisterin von Chomutov
öffentlich in Clinch geraten.
„Als Minister bin ich vor allem gegenüber der Mehrheitsbevölkerung
kritisch. Das machen mir die Menschen oft zum Vorwurf, aber ich halte es
für angebracht, zunächst einmal vor der eigenen Türe zu kehren.
Umgekehrt erwarte ich aber auch von den tonangebenden Persönlichkeiten der
Roma, dass sie auf ihre Gemeinde kritisch und motivierend einwirken. In
dieser Hinsicht bereitet es mir Sorgen, dass es nun gerade die Elite der
Roma ist, die weggeht“, so Kocáb.
Ivan Vesely, ebenfalls Roma, untersteht im Rat für Roma-Angelegenheiten
direkt dem Minister. Er sieht ein Identitätsproblem auch innerhalb seiner
Volksgruppe:
„Die Roma in Tschechien sind sich ihrer Identität zu wenig bewusst.
Sehr vereinfacht kann man sagen: Das kommunistische Regime machte die Roma
zu Angehörigen der Arbeiterklasse, und die Demokratie machte aus ihnen
dann das Lumpenproletariat. Aber all die Probleme rund um Tradition,
soziale Kontrolle und öffentliche Meinung kann man mit den traditionellen
Methoden kaum lösen, wenn von den 200.000 bis 250.000 Roma in Tschechien
etwa 60 Prozent dem Lumpenproletariat angehören. Das ist keine
Arbeiterklasse mehr, das ist überhaupt nichts.“
Der jüngste Exodus der Roma nach Kanada ist durch die Einführung der
Visumpflicht für tschechische Staatsbürger vorerst gebremst, doch die
neuen Reisebeschränkungen sind vielen Tschechen ein Dorn im Auge. Droht
den Roma hierzulande nun die Rolle des Sündebocks? Michael Kocáb:
„Das befürchten wir natürlich. Aber wir werden alles dafür tun um zu
erklären, dass das nicht die Schuld der Roma ist, sondern die Schuld von
uns allen.“
Einstweilen geht das diplomatische Tauziehen mit Kanada und der EU weiter.
Tschechien kann nämlich nicht einfach Gleiches mit Gleichem vergelten und
seinerseits ebenfalls Visa für kanadische Staatsbürger einführen –
auch wenn das manche gerne täten. Visumpflicht für die Bürger von
Drittstaaten kann es nur auf gesamteuropäischer Ebene geben. Der neue
Vizepräsident des Europäischen Parlaments, der tschechische
Sozialdemokrat Libor Rouček, sprach sich gegenüber Radio Prag jedoch
gegen einen solchen Schritt aus. Tschechien sei ein demokratischer
Rechtsstaat. Auge um Auge, Zahn um Zahn – für Rouček ist das nicht die
richtige Lösung:
„Meiner Meinung nach sollte die tschechische Regierung darauf
verzichten, sich um die Einführung der Visumpflicht gegenüber Kanada zu
bemühen. Es wäre viel vernünftiger, gemeinsam mit Kanada und der EU eine
positive Lösung zu suchen, die Lage so zu normalisieren, dass das Land
damit keine Probleme hat, dass die Bevölkerung, besonders die
Roma-Bevölkerung, sich nicht bedroht fühlt und nicht nach Kanada reisen
muss, um dort um politisches Asyl anzusuchen.“
Unter anderem wäre dazu die Verbesserung der Situation der Roma nötig
– in Tschechien, aber auch in anderen europäischen Ländern. Je besser
das gelingt, desto stärker werden die Argumente der EU sein, wenn sie auch
außenpolitisch auf der Gleichbehandlung aller ihrer Mitglieder besteht.
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