„Genug!“ - Roma demonstrieren in mehreren tschechischen Städten gegen Extremismus
Fast jede Woche marschieren Neonazis durch tschechische Städte, in denen
auch viele Roma leben. Ein höchstwahrscheinlich rassistisch motivierter
Brandanschlag auf eine Roma-Familie in Vítkov vor zwei Wochen war ein
vorläufiger Höhepunkt der Gewalt gegen die tschechische Roma-Minderheit.
Ein zweijähriges Mädchen erlitt schwerste Verbrennungen und schwebt
seitdem in Lebensgefahr. In mehreren tschechischen Städten demonstrierten
Roma daher am Sonntagnachmittag friedlich gegen den steigenden Extremismus
in Tschechien.
„Unsere Heimat ist hier in Tschechien. Und wir sind stolz auf Tschechien.
Hier leben unsere Väter und die sind schon 80 bis 90 Jahre alt. Wir wollen
nicht emigrieren, aber wir wollen hier in Sicherheit leben. Wenn unsere
Kinder morgens zur Schule gehen, wollen wir auch sicher sein, dass sie
nachmittags wieder nach Hause kommen.“
So fasste ein Roma im nordostböhmischen Náchod die Botschaft der
Kettendemonstrationen in insgesamt 14 tschechischen Städten zusammen. Das
Bekenntnis zu ihrer Heimat ist auch ein Zeichen an die tschechische
Gesellschaft, denn immer mehr Roma verlassen verängstigt das Land. Unter
dem Motto „Dost!“, auf deutsch „Genug!“, drückten am Sonntag
mehrere Hundert Demonstranten ihren Widerstand gegen den wachsenden
Extremismus in der tschechischen Gesellschaft aus. Überwiegend Roma. Doch
auch Menschenrechtsorganisationen und andere Bürgerinitiativen beteiligten
sich. Die Demonstrationen waren friedlich. In Chomutov / Komotau und
Ostrava / Ostrau aber wurden die Teilnehmer von Rechtsradikalen
angegriffen. Die Polizei hatte die Situation offenbar unterschätzt. Erst
nachrückende Polizeieinheiten, die die überforderten Beamten vor Ort
verstärkten, konnten die Lage wieder beruhigen. Für den Roma-Aktivisten
Ivan Veselý sind die Vorfälle symptomatisch:
„Wenn sich Neonazis versammeln, ist die Polizei in der Lage diese Leute
zu schützen. Aber wenn sich die Roma versammeln, schaffen es die
Polizisten nicht, diese angemeldeten Demonstrationen zu schützen.“
Ungeachtet solcher Schuldzuweisungen lag Veselý und seinen Mitstreitern
am Sonntag mit der Kettendemonstration aber auch daran, aufzurütteln. Der
Extremismus sei nicht nur für die Roma gefährlich, sondern für die
gesamte tschechische Gesellschaft, ließ einer der Veranstalter der
Brünner Demonstration verlauten.
Unterdessen widmet auch die scheidende Regierung dem Thema wachsende
Aufmerksamkeit. Auf seiner letzten Sitzung will das noch amtierende
Kabinett über ein neues Konzept im Kampf gegen den Extremismus
diskutieren. Ivan Veselý befürchtet jedoch, dass hier nur ein weiteres
Kapitel in einem Papierkrieg aufgeschlagen wird:
„Ich hoffe, diese Kabinettssitzung trägt nicht auch noch zu dieser
Inflation von Regierungsunterlagen bei. Über dieses Thema wurde schon
kiloweise Papier voll geschrieben. Die Situation ist ernst. Es ist nicht
nötig dazu noch weitere Konzepte auszuarbeiten, aber es ist nötig zu
sagen, wie sie erfüllt und wie sie bezahlt werden sollen.“
Ob die scheidende Regierung Veselýs Wunsch erhört, kann sich schon in
den kommenden Tagen zeigen. Wann sich die Roma in Tschechien wieder sicher
fühlen können, ist wohl eher eine Frage von Monaten oder Jahren.
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