Wellenreiter auf der Woge der "Balkanmusik": Gipsy.cz
Mitte der neunziger schwappte eine Musikwelle auf den Plattenmarkt, die
sich nur schwer benennen lässt. Gipsy-Grooves oder Balkan-Folk, Jugo-Punk
oder Bucovina-Dub, Karpaten-Ska oder Romano Hiphop – gemein sind den
Musikgruppen mit kuriosen Stilen ihr großer Erfolg und fast immer die
multikulturelle Abstammung ihrer Musiker. In Tschechien surft die Band
„gipsy.cz“ auf dieser Woge ganz oben.
Donnerstagabend auf der Bühne der Lucerna Music Bar: Vojta Lavicka geigt
klassische Romamusik, seine Kollegen greifen schwungvoll in die Saiten von
Gitarre und Bass. Radek Banga hiphopt dazu, singt und sorgt für
Beatboxklänge. Die Band gipsy.cz feierte vergangene Woche die Vergoldung
ihres aktuellen Albums „Romano Hip Hop“. Geiger Vojta Lavicka nach 90
Minuten Konzert:
„Ungefähr ein Jahr lang standen wir gemeinsam rappend auf der Bühne,
was mir persönlich überhaupt nicht gefallen hat. Ich habe zu Radek
gesagt: Du singst gut, da ist das dauernde Rappen doch eigentlich schade.
Komm sing, probier das. Er stimmte zu, wir sangen Romalieder und das schlug
unglaublich ein. So entstand der Stil Romano Hiphop.“
Mit energiegeladenen Gesten, Gesang und zwischendurch Rap in hohem
Sprechtempo schaukelt Radek das Publikum auf, ein Textauszug: „Ich will,
dass jeder weiß, dass ich genauso wie meine Kapelle Roma bin. Lass Dich in
unseren Rhythmus fallen und Du gehörst dazu. Ein grenzenloser Idiot ist
niemand! Das ist die Message von Romano Hiphop!“
Die Kombination von Rap und Folklore ist im Prinzip ein alter Hut: Wo
Kulturen zusammengewürfelt werden, entstehen neue Mixturen. Und wenn
Menschen aus ihrer Heimat vertrieben, oder wie die Roma im Kommunismus
ihres Wanderlebens beraubt werden, suchen sie sich im Exil häufig
Schicksalsgenossen. Sprache und Musik sind dabei die Identitätsträger.
Gipsy.cz surft also auf einer ganzen melancholisch-leidenschaftlichen,
dramatisch-lebensfrohen Musikwelle. Die schwappte schon in den 90er Jahren
vom Balkan in den Westen Europas.
„Schwarze Katze, Weißer Kater“ – Der Serbe Emir Kusturica, der
übrigens an der Prager Film- und Fernsehakademie studierte, führte Regie
bei diesem grotesken Film. Wer ihn noch nicht gesehen hat, sollte ihn sich
schnell besorgen und wer den Film lang nicht mehr gesehen hat, den treibt
die Sehnsucht sowieso bald wieder in die Videothek. Bilder und Töne,
verbunden in wilder Poetik, lockten aus dem Balkan vertriebene Serben,
Kroaten und Bosnier verschiedenen Alters in dieselben Kinosäle – durch
Nationenkonflikte gespaltene Generationen, die plötzlich eines teilten:
Das Exil, eine gemeinsame Vergangenheit und die Suche nach Identität.
Die Filmmusik eroberte nicht nur die Leinwand, sondern auch die
Tanzflächen der Clubs. In Berlin legte Robert Šoko als einer der ersten
im Kaffee Burger auf. West traf Ost.
„In unserer Musik treffen sich Ost und West, wenn das Gegensätze sind.
Ich glaube, in dem Aufeinandertreffen von traditioneller Musik aus
Osteuropa und westlichen Beats spiegelt sich eine neue europäische
Mentalität, die beheimatet ist in den westlichen Clubs. Dort trifft
Westeuropa Osteuropa.“
Ost und West tanzen und taumeln Arm in Arm, berauscht von Musik über
Grenzen, die eher Schmerz als Freude gebracht hatten. Die Filmmusik von
Goran Bregovic ebnete noch vielen weiteren Bands und DJ Formationen den
Weg. Bekannt sind außer Robert Soko aus Berlin auch DJ Shantel aus
Frankfurt am Main oder die DJs der „BalkanBeatbox“. Für Ori Kaplan,
einer der „BalkanBeatboxer“, ist die Identitätssuche nicht nur ein
Migrantenthema:
„Ich denke, dass Europa nach seinen eigenen Wurzeln sucht und dabei in
Richtung Osten schaut, weil es im Westen derzeit nichts wirklich
Ausfüllendes gibt. Die Migration innerhalb Europas hat sich etwas
gewandelt: Die europäische Musik beginnt, sich als Einheit zu begreifen,
nicht mehr nur als deutsche oder französische, sondern eben europäische
Musik. Und mir scheint, dass Volksmusik gerade in den Balkanstaaten und
Osteuropa noch am ehesten bewahrt wurde.“
Volksmusik vom Balkan als Fundament für eine neue europäische Musik.
Balkanbeat von Soko und Kaplan, Gypsy Grooves oder eben Romano Hiphop von
gipsy.cz: Das alles ist musikalische Variation eines Leitmotivs, der
Identitätssuche. Spaß an Geschwindigkeit, häufig Geige, Trompete und
Akkordeon und eine verspielte Freude am kombinieren von Rhythmen, Bässen,
ein durchgehend wilder Mix mit Hang zur Anarchie. Ist dieses Vermengen nun
Komponieren oder Panschen? Das Ausschlachten einer Tradition, die man nicht
erhält, sondern verfälscht? Oder eine wünschenswert natürliche
Aktualisierung, die Altes mit Neuem verbindet? Ori Kaplan von der
BalkanBeatbox beantwortet solche normativen Fragen betont gelassen und
pragmatisch:
„Im Grunde mögen die Menschen einfach gute Musik und das genau sind
unsere Leute. Puristen kommen nicht zu uns, probieren unseren Stil nicht
aus.“
Vojta Lavicka von der tschechischen Gruppe gipsy.cz definiert seine Band
ähnlich unverkrampft:
„gipsy.cz ist eine Gruppe von jungen Roma, Musikern und Freunden die
sich nicht dafür genieren, sich selbst auf den Arm zu nehmen.“
So blauäugig und unschuldig das auch klingen mag: Gipsy.cz ist wie alle
diese Balkanbands zutiefst politisch, gerade weil sie keine verbohrten
Ideologien vertonen, sondern Toleranz, Freude und Ausgelassenheit.
In Prag spielen häufiger Bands des weit verwurzelten Musikstils: DJ Soko
von Balkanbeat verhandelt derzeit über die Gage für einen Abstecher in
den alternativen Prager Cross Club und gipsy.cz wird im nächsten Monat ein
neues Album vorstellen. Vorher allerdings treten sie noch mit ihrem alten,
vergoldeten Album auf. Unter anderem als Vorband des Urvaters der
neuaufgelegten Balkanfolklore: Goran Bregovic. Der Sohn einer Serbin und
eines Kroaten arbeitete lange mit Regisseur Emir Kusturica zusammen, zum
Anti-Kriegsfilm-Klassiker „Underground“ schrieb Bregovic die Filmmusik.
Und diese Filmmusik ist in Prag bald live zu hören: Goran Bregovic wird
am Montag, 31. März im Prager Kongresszentrum auftreten. Er pflegt
mittlerweile eine orchestrale Form der Balkanfolklore, mit großem Chor und
Streichorchester. Insgesamt 37 Musiker werden – so der Titel des Konzerts
- „Geschichten und Lieder für Hochzeiten und Beerdigungen“ spielen. Im
Vergleich mit zum Beispiel gipsy.cz ist die Zubereitung der Balkanzutaten
à la Bregovic dann schon fast wieder gut bürgerliche Küche. Mit Pfeffer,
Knoblauch und einer Prise Humor.
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