Weltkindertag mal anders: Schüler in Kutna Hora lernen Roma-Kultur kennen
Der Weltkindertag - ein Tag, der an tschechischen Schulen üblicherweise mit
Fußball-, Basketball- oder Volleyballturnieren und anderen Spielen
verbracht wird, wenn überhaupt etwas organisiert wird. Am Gymnasium Jiriho
Ortena in Kutna Hora / Kuttenberg haben sich die Lehrer zusammen mit ihrem
Direktor etwas Spezielles ausgedacht: Auf dem Programm der Schüler steht
an diesem Tag die Welt der Roma. Und zwar vor allem die Welt der
Roma-Kinder. Martin Karlik war vor Ort.
Proben: Die Technik wird eingestellt, die Instrumente werden gestimmt und
die Stimmbänder gelockert. Die Zigeuner-Kapelle "Mario Bihari
band" nimmt ihren Auftritt ernst. Die Musiker sind Profis. Sie sind
eine mehrerer Roma-Bands, die an dem Vormittag in dem Gymnasium in Kutna
Hora auftreten. Eine weitere nennt sich "Terne Chave" und kommt
aus dem nahen Hradec Kralove / Königgrätz.
"Wir spielen schon fünf oder sechs Jahre zusammen und kennen uns
schon von Kindesbeinen an. Wir haben eigentlich auch schon während des
Kommunismus zusammen gespielt, haben an verschiedenen Festivals
teilgenommen. Nach der Wende haben wir die Musik erstmal sein lassen,
jeder von uns gründete eine Familie und später hatten wir dann wieder Lust
aufs Musizieren. Es ist jetzt eigentlich wieder wie wir früher", sagt
einer der Musiker.
Terne Chave, der Name der Band, bedeutet in der Sprache der Roma
"Junge Jungs". Ihre Musik, das ist klassische Roma-Musik, aber
auch Jazz. Die Zuschauer klatschen nach jedem Song. Manche tanzen auch
oder bewegen sich zumindest zum Rhythmus. Beifall erntet auch ein
Roma-Junge, der vor der Bühne spontan sehr komplizierte Tanzeinlagen
zeigte.
Überhaupt steht Tanz natürlich auch auf dem Programm. Aus Prag etwa kommt
die Tanzgruppe "Cikani jdou do nebe", die an einer dortigen
Grundschule beheimatet ist. Die zwanzigköpfige Gruppe leitet Eva
Kroscanova. Sie kümmert sich zum Beispiel auch um Kostüme und Requisiten.
"Die Blusen habe ich selbst entworfen. Auch den Stoff hab ´ich selbst
ausgesucht, aber das Nähen hab´ ich einer Spezialistin überlassen. Die
Röcke habe ich selbst angefertigt, nur die Rüschen hat wieder eine
Spezialistin genäht. Das habe ich nicht geschafft. Und die Stirnbänder
haben wir gekauft."
Das Wichtigste ist ansonsten natürlich die Choreographie:
"Der Tanz ist im Nu ausgedacht, vielleicht in einer Stunde. Aber das
Schwierige ist, dass alle gleich tanzen. Die Übung, Arme, Beine - alles
muss stimmen. Dafür brauchen wir so etwa einen Monat", so Kroscanova.
Auch die Tanzgruppe aus Prag erntet Beifall. Die kleinen Tänzerinnen und
Tänzer träumen davon, dass sie sich vielleicht einmal professionell tanzen
werden. Wie die elfjährige Rebeca, die sich ihrem Hobby bereits seit
mehreren Jahren widmet, oder der gleichaltrige Emil, der aus der Slowakei
stammt und bisher erst seit drei Monaten tanzt.
Tanz und Musik ist aber nur ein Teil des Programms an diesem Tag. Zudem
finden Vorträge und Diskussionen mit Lektoren aus dem Brünner Museum der
Roma-Kultur oder den Künstlern statt, die hier auftreten. Hungrige können
auch sogar die Küche der Roma verkosten. Manche Schüler lassen sich sogar
ein paar Vokabeln und Ausdrücke in der Sprache der Roma beibringen. Nicht
zuletzt wird auch traditionelle Handwerkskunst vorgeführt. Noch vor Start
des Festivals, das am 1. Juni stattfand, gab es in der Schule eine Reihe
von Vorträgen und Diskussionen über die Roma-Minderheit in Tschechien.
Das Gymnasium Jiriho Ortena organisiert solch interkulturelle Programme
öfters. Es gibt bereits eine gewisse Tradition, den Weltkindertag mit
einem solchen Programm zu feiern. Sie entstand laut dem Direktor Vladislav
Slavicek vor drei Jahren, als man sich entschloss, nicht die üblichen
Spiele wie an anderen Schulen zu veranstalten:
"Wir haben uns entschlossen, am 1. Juni den Schülern nicht nur
Sackhüpfen, Kugelstoßen oder Luftgewehrschießen zu bieten, sondern etwas
mehr. Und das im so genannten Zyklus ´Auch unter uns´. Das bedeutet
Kulturen der Minderheiten in Tschechien zu zeigen. Wir haben vor drei
Jahren mit der indischen Bewegung Hare Krishna angefangen, ein Jahr später
wurden dann verschiedene christliche Gruppen vorgestellt. In diesem Jahr
setzen wir dies mit dem Roma-Festival fort, und im nächsten Jahr wollen
wir uns mit der vietnamesischen Minderheit beschäftigen."
Noch vor dem Festival wurden im erwähnten Zyklus "Auch unter
uns" Diskussionen mit Homosexuellen, Behinderten aber auch mit
bekannten und berühmten Sängern, Politikern, Sportlern, Schauspielern und
anderen Persönlichkeiten geführt. Laut Schuldirektor Slavicek ist das eine
praktische Probe der Gesellschaftskunde, die mit der Schulreform eingeführt
wurde.
Um die Organisation kümmern sich neben dem Direktor und den Lehrern auch
die Schüler des Gymnasiums selbst. Und was ist Ziel dieses Tages? Das ist
wieder eine Frage an Direktor Vladislav Slavicek:
"Unsere Schüler mit der Kultur der Roma bekannt zu machen. Damit sie
im Stande sind zu sehen, dass die tanzenden Kinder nicht viel mit denen
gemein haben, die kupferne Dachrinnen stehlen oder aus Gärten Metall
wegschaffen. Was sie verbindet, ist allein die Hautfarbe. Aber das darf
nicht dazu führen, dass wir sie verurteilen. Das war das Hauptziel des
Festivals. Wir wollten die Welt weder retten noch ändern. Das geht mit
einem Festival nicht. Ich hoffe, dass wir ein paar unserer Schüler zum
Nachdenken gebracht haben und dass wir den Roma-Kindern gezeigt haben,
dass sie uns nicht gleichgültig sind, dass uns interessiert, wie sie ihre
Freizeit verbringen, dass wir Interesse an ihrer Kultur und ihren
Traditionen haben und dass wir mit ihnen rechnen."
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