Amaro Kher - Mein Zuhause
Viele glauben, über Roma irgendwie Bescheid zu wissen, sagt die
Mediendesignerin Michaela Janoch, und doch hätten die meisten kaum eine
Ahnung von ihnen. Den negativen oder auch positiv-romantischen
Vorurteilen, die das vorherrschende Roma-Bild prägen, hat Michaela Janoch
deshalb ihre Fotos entgegengesetzt. Fotos aus dem Alltag einer Prager
Roma-Familie, die sie im Laufe von fünf Monaten angefertigt und nun zu
einem Buch zusammengefasst hat.
Frau Janoch, Sie sind in Prag geboren, aber in Deutschland aufgewachsen.
Wie kam das?
"Ich bin hier 1975 geboren, und meine Eltern sind 1982 nach
Deutschland emigriert. Ich bin in Stuttgart aufgewachsen und habe dort die
meiste Zeit meines Lebens verbracht."
Jetzt sind Sie im Rahmen Ihrer wissenschaftlichen und künstlerischen
Arbeit nach Prag zurückgekommen: Sie haben hier einen Fotoband gestaltet.
Worum handelt es sich dabei konkret?
"Vor zirka einem Jahr bin ich zurückgekommen und habe hier meine
Diplomarbeit gemacht. Ich habe in Nürnberg an der Fachhochschule studiert,
im Fachbereich Gestaltung und Mediendesign. Nun habe ich einen Bildband
über eine Roma-Familie gestaltet, die ich fünf Monate lang begleitet habe.
Ich habe sie zuhause in ihrem Umfeld fotografiert und ihr Leben, ihren
Alltag dokumentiert."
Roma stehen in den meisten Ländern einer gehörigen Portion Vorurteilen
gegenüber, umgekehrt prägt das auch wieder das Bild, das die Roma von der
Mehrheitsgesellschaft haben. Ich könnte mir vorstellen, dass es nicht so
leicht war, überhaupt einen Zugang zu der Familie zu finden. Wir sprechen
immerhin von einem Fotoband. Das heißt, Sie haben sich mehrere Monate lang
mit der Kamera in der Hand im Lebensumfeld dieser Familie bewegt. Wie
konnten Sie überhaupt das Vertrauen der Familie gewinnen?
"Am Anfang war das wirklich sehr spannend. Ich kannte die Familie ja
überhaupt nicht. Gefunden habe ich sie über eine kleine Hilfsorganisation
in der Schule im Stadtteil Zizkov. Ich habe zunächst versucht, sie an das
Medium Fotografie heranzuführen. Zuerst bin ich ohne Kamera hingegangen,
einfach um sie kennen zu lernen. Dann habe ich Polaroid-Aufnahmen gemacht
und dort verteilt. Das fanden sie dann auch toll, weil man bei den
Sofortbildkameras eben sofort ein Ergebnis sieht. Das hat gut
funktioniert. Mit den Kindern gab es überhaupt keine Probleme, und
eigentlich auch mit den Erwachsenen nicht. Es war eine Phase der
Annäherung - auch um die Intimität zu bekommen, die ich erreichen wollte.
Ich habe gezielt die Nähe zu den Leuten gesucht, die sich auch in den
Bildern haben wollte. Drei oder vier Wochen lang bin ich immer wieder
hingegangen und habe nur mit ihnen gesessen, habe versucht sie näher
kennen zu lernen, mich vorzustellen. Sie haben immer wieder gefragt: Bist
du Deutsche? Bist du Tschechin? Wer bist du denn überhaupt?"
Wir groß war die Familie?
"Da gibt es eine Mutter, die hat fünf Töchter, und ihren
Lebensgefährten. Und den Lebensgefährten der ältesten Tochter. Alle haben
zusammen in einer Zweizimmerwohnung gewohnt. Die jüngste Tochter ist fünf,
die älteste ist neunzehn."
Wie heißt das Buch?
"Das Buch hat den Titel Amaro Kher. Das ist Romani und bedeutet Unser
Zuhause."
Was haben Sie im Zuhause der Roma beobachten können, was besonders
interessant oder auch besonders überraschend war?
"Was mir aufgefallen ist und was ich so nicht erwartet hatte, war die
Abwesenheit der Männer. Sie waren eigentlich nicht oft zu Hause. Als ich
dorthin gekommen bin, hatte der Mann keine Arbeit, aber er hat Metall
gesammelt und versucht, es nachher zu verkaufen. So war er von morgens bis
abends nicht da. Die Mutter war mit den Kindern meistens alleine. Aber es
kam täglich Besuch, von Freunden oder Nachbarn, Klatsch und Tratsch wurden
ausgetauscht, die Kinder sind rein und raus gerannt - es war teilweise sehr
heiter."
Wenn wir über Roma in großen Städten sprechen, dann kommt der Gedanke an
gesellschaftliche Konflikte auf, Fragen von Integration und
Integrationswilligkeit und umgekehrt Abweisung durch die
Mehrheitsbevölkerung. Wie sollte nach den Erfahrungen, die Sie jetzt
gemacht haben, eine gelungene Integration der Roma aussehen - und was
steht ihr am meisten im Wege?
"Integration ist ein sehr komplexes Thema. Ihre Umsetzung ist nicht
einfach, weil man mit Menschen zu tun hat, und Menschen grundsätzlich
unterschiedlich sind. Ich glaube, ein ganz guter Weg, oder wahrscheinlich
der einzige Weg, führt über Bildung - vor allem bei den Kindern. Sie
brauchen Ausbildungsplätze und später auch sichere Arbeitsplätze, damit
sie sich ein eigenes Leben aufbauen und eigenverantwortlich sein können,
damit auch ihr Selbstbewusstsein aufgebaut wird. Ich habe gesehen, dass
das bei vielen fehlt. Als ich dort gearbeitet habe, sind mir auch Leute
über den Weg gelaufen, die gesagt haben: Ich möchte nicht fotografiert
werden, weil ich hier nur vorgeführt werde! Es wurde tatsächlich
ausgesprochen, dass man sich dafür schämt, Roma zu sein. Ich glaube, dass
diese Menschen ein Bewusstsein für die eigene Kultur bekommen sollten,
diese Kultur nicht verlieren sollten. Und nicht nur die Roma, auch die
anderen sollten sich diesbezüglich bilden. Damit sie sich annähern und
nicht nur mit ihren Vorurteilen im Kopf herumlaufen - mit den negativen
wie auch den positiven."
Kann man das Buch kaufen?
"Nein, es ist eine Diplomarbeit. Es gibt insgesamt nur vier
Exemplare, die ich selbst produziert und finanziert habe. Aber es sind
Ausstellungen geplant: Ich bin jetzt in Kontakt mit dem Roma-Museum in
Brünn. Und in Nürnberg, wo ich studiert habe, gibt es ein Kulturzentrum,
das auch Interesse an einer Ausstellung hat."
www.michaelajanoch.com
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