"Die verschwundenen Roma" - verdrängte Geschichte an tschechischen Schulen
"Die verschwundenen Roma und die Roma heute" heißt ein
Bildungsprogramm des gemeinnützigen Vereins "Ziva pamet" /
"Lebendiges Gedächtnis". Das Projekt will vor allem Schülern und
jungen Menschen in Tschechien Kenntnisse vermitteln über Gegenwart und
Geschichte der tschechischen Roma, vor allem aber über die Verfolgung der
Roma unter den Nationalsozialisten - ein nur wenig beachtetes Kapitel in
den langen Reihen der NS-Gräuel.
Rund 200.000 Roma gibt es Schätzungen zufolge heute in Tschechien. Zumeist
leben sie ausgegrenzt in ghettoartigen Siedlungen am Rand der
Gesellschaft. Das Verhältnis zwischen Roma und Mehrheitsgesellschaft ist
beherrscht von Vorurteilen und Desinteresse. Die tschechischen
Jugendlichen wissen kaum etwas über Leben und Herkunft der Roma in ihrem
Land. Dass die Roma auch Opfer des Holocaust waren, ist für viele neu. Das
Roma-Projekt des Vereins "Ziva pamet" will gegen diese weißen
Flecken angehen, erklärt die Projektkoordinatorin Viola Jakschova:
"Die Idee ist, heute, 60 Jahre nach dem Krieg, zu ermöglichen, dass
die junge Generation mit den Zeitzeugen noch über die damaligen
Geschehnissen sprechen kann. Das wird schon sehr bald nicht mehr möglich
sein, denn die Menschen, die das miterlebt haben, sind schon sehr alt. Die
zweite Idee ist, dass die jungen Menschen, die nahe an den beiden
ehemaligen so genannten ´Zigeuner-Sammellagern´ leben, erfahren, was dort
passiert ist und dass sie mit Menschen sprechen können, die dort das
NS-Unrecht erlebt haben."
Hervorgegangen ist das Projekt wie auch die Initiative "Ziva
pamet" aus der Arbeit des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, der
die Entschädigung der tschechischen Holocaust-Opfer koordiniert hat. Dabei
haben sich auch rund 3000 heute in Tschechien lebende Roma gemeldet, die
Opfer des NS-Terrors waren. Die Verfolgung der Roma, so erinnert
Historiker Petr Lhotka vom Brünner Museum für Roma-Kultur, hatte in
Deutschland schon kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten
begonnen. 1942 wurden schließlich auch im Protektorat Böhmen und Mähren
Zigeuner und Zigeunermischlinge in Listen erfasst.
"Auf deren Grundlage wurden dann die so genannten
Zigeuner-Sammellager im Protektorat angelegt, eines bei Lety, eines in
Hodonin bei Kunstat. Beide wurden von der Protektoratspolizei verwaltet.
Es ist hier nicht zu Massenmorden gekommen, aber das haben ziemlich
zuverlässig Hunger und schlechte hygienische Bedingungen übernommen. In
Lety sind so 327 Menschen gestorben, in Hodonin 207."
Die meisten der tschechischen Roma wurden weiter deportiert in die
Vernichtungslager des Ostens. Nicht einmal 600 der ursprünglich etwa 8000
Roma, die vor dem Krieg in Böhmen und Mähren gelebt haben, sind
zurückgekehrt. Der Roma-Holocaust gehört zu den weitgehend vergessenen und
verdrängten Kapiteln der tschechischen Geschichte. Die ehemaligen
Sammellager sind heute in wenig pietätvollem Zustand - kaum etwas erinnert
an die schrecklichen Ereignisse, so Viola Jakschova.
"In dem einen Lager, Lety bei Pisek, ist heute eine Schweinefarm, und
das andere Lager ist ein Erholungsareal. Da gibt es kleine
Wochenendhäuschen für Menschen, die sich da an einem Schwimmbad erholen -
nicht weit von einem Massengrab."
Auf einer eigenen Internet-Seite (www.kapura.cz), die sich vor allem an
junge Menschen richtet, informiert "Ziva pamet" über Geschichte
und Gegenwart der Roma in Tschechien; es sind dort historische Fotos zu
finden und mit einem Quiz kann man den Stand seines Roma-Wissens testen.
Der wichtigste Teil des Projektes sind aber die Begegnungen von Zeitzeugen
mit tschechischen Schülern, die "Ziva pamet" vermittelt.
"Eine Zeitzeugin ist Elena Machalkova. Sie kommt aus Brünn und
erzählt die Geschichte ihrer Familie aus Mähren. Das war eine völlig
assimilierte und integrierte Roma-Familie, die eigentlich erst im
Holocaust mit dem Rassismus konfrontiert wurde, denn vorher war sie
wirklich integriert."
"Wir haben wunderbar gelebt, genau wie die anderen. Bis zum Jahr
1939, als die Deutschen gekommen sind. Ich war da 14 und bin ins Gymnasium
gegangen. Das erste war natürlich, dass mein Bruder und ich aus der Schule
geworfen und als Zwangsarbeiter eingesetzt worden sind. Ich habe da so
etwa 40 Kilo gewogen, und jeden morgen musste ich mit dem Zug in die
Fabrik fahren. Die erste Zeit bin ich bei der Arbeit eingeschlafen - ich
war einfach noch ein Kind, das war einfach fürchterlich."
Nationalsozialistische Verfolgung und Konzentrationslager, das sind starke
Themen, die die jungen Menschen berühren und mit denen sie sich
auseinandersetzen. Wenn die anfängliche Unsicherheit erst einmal
überwunden ist, reagieren die Schüler durchweg sehr positiv auf die
Möglichkeit, Geschichte aus erster Hand zu erfahren, erzählt
Projektkoordinatorin Viola Jakschova:
"Manchmal sind sie zu Anfang ein wenig zurückhaltend. Sie denken
sich: ´Was bekomme ich jetzt zu hören, was wollen die von mir? Ich soll
bestimmt von irgendetwas überzeugt werden!´ Die Begegnung mit dem
Zeitzeugen bricht dann aber immer das Eis - die Schüler hören wirklich zu
und fragen dann auch viel. Manchmal begegnen uns da auch Vorurteile.
Einmal hat jemand gefragt, wie viele anständige Roma es überhaupt gibt,
und so weiter. Aber nach dem Bericht des Zeitzeugen ändert sich die
Atmosphäre völlig."
Auch der im vergangenen Herbst verstorbene Antonin Hlavacek hat seine
Geschichte immer wieder vor tschechischen Schülern erzählt. Aus dem Lager
Lety war er nach Auschwitz deportiert worden. An die Ankunft erinnert er
sich noch genau:
"Ausziehen, Haare schneiden, und dann kamen die Nummern. Wer
arbeitsfähig war, dem haben sei eine Nummer eintätowiert, bei den anderen
wurde sie nur mit Tintenstift auf den Arm geschrieben, denn die haben
gewusst, dass er ohnehin nicht mehr lange lebt. Auschwitz war eine
Todesfabrik. Wer dahin gekommen ist, der hatte hinter seinem Eintrag
praktisch schon das Kreuz."
Anfängliche Vorbehalte und Vorurteile gegen das Roma-Zeitzeugen-Projekt
gibt es nicht nur bei den Schülern, sondern gelegentlich auch an den
Schulen selbst zu überwinden, berichtet Viola Jakschova:
"Einmal ist es auch dazu gekommen, dass uns der Direktor eines
Gymnasiums gesagt hat: Ihr könnt kommen, aber der Zeitzeuge nicht. Ich
weiß nicht, was das sollte. Ich habe dann nochmals angerufen, nachgefragt
und nochmals alles erklärt, und dann durfte der Zeitzeuge schließlich doch
mitkommen. Aber das war schon seltsam."
Für Jakschova und das Team von "Ziva pamet" sind solche
Vorkommnisse nur ein weiterer Beweis dafür, wie notwendig Aufklärung in
diesem Bereich ist.
"Ich mache das Projekt mit Begeisterung, und weiß jetzt viel mehr
nicht nur über den Roma-Holocaust, sondern über Roma allgemein. Das ist
wie bei jeder Sache: Wenn man sich mehr mit etwas befasst, dann sieht man
nachher auch mehr."
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