Roma-Verfolgung im Protektorat
Wie Sie bereits in unseren Programmen hören konnten, sorgt der südböhmische
Schweinezuchtbetrieb in Lety seit Jahren für Schlagzeilen. Nicht etwa, weil
Tierschützer gegen diese demonstrieren, sondern weil genau an dieser Stelle
während des Protektorats ein so genanntes Zigeunerlager existierte, in dem
über 300 Menschen umkamen. Vor kurzem beschäftigte sich eine
internationale Konferenz in Prag mit diesem Thema. Im nun folgenden
Kapitel aus der tschechischen Geschichte können Sie hören, was Katrin Bock
zum Thema Roma-Verfolgung im Protektorat erfahren hat.
Lediglich 563 der 6.500 in Konzentrationslager deportierten Roma aus dem
Protektorat Böhmen und Mähren überlebten den Zweiten Weltkrieg. Doch bis
vor einigen Jahren war das Thema Roma-Genozid in Tschechien unbekannt -
wohl auch deswegen, weil es nicht gerade ein rühmliches Kapitel in der
tschechischen Geschichte darstellt. Dies änderte sich erst 1995, als der
damaligen Präsident Vaclav Havel im südböhmischen Lety bei Pisek eine
Gedenkstätte einweihte. Auf dem Gelände des damaligen Lagers steht
allerdings bis heute eine Schweinezucht. Auch im mährischen Hodonin bei
Kunstat erinnert lediglich eine kleine Gedenkstätte an die Leiden der
Lagerinsassen. An Stelle des ehemaligen Lagers steht heute eine
Erholungsanlage - in der einzigen, noch existierenden Holzbaracke von
damals befindet sich eine Kneipe.
Mitte Oktober lud die Heinrich-Böll-Stiftung, in Zusammenarbeit mit dem
tschechischen Komitee für die Entschädigung von Opfern des Roma-Holocaust
und dem Zentralrat der deutschen Sinti und Roma zu einer Konferenz über
den Umgang mit dem Völkermord an Sinti und Roma ein. Mich interessierten
dabei nicht so sehr die gegenwärtigen Diskussionen, sondern die Geschichte
der Roma, die gar nicht so einheitlich ist, wie sie zu sein scheint. Denn
vor dem Zweiten Weltkrieg lebten in den Böhmischen Ländern nicht nur Roma,
sondern auch Sinti, wie Cenek Ruzicka vom Komitee für die Entschädigung von
Opfern des Roma-Holocaust erläutert.
"Vor ungefähr 600 Jahren, als die Roma ungefähr nach Europa kamen,
ist eine Gruppe, die aus Ägypten kam, in Deutschland geblieben. Ein
kleiner Teil dieser Gruppe ist allerdings weiter gezogen und ließ sich in
Böhmen nieder. Und diese Sinti haben auch hier Deutsch gesprochen. Dass
diese beiden Gruppen verwandt sind, zeigen einige Aspekte ihrer Kultur.
Das ist bisher wenig bekannt und Historiker sollten mehr darüber
forschen."
Die Sinti, die in den überwiegend deutsch besiedelten Grenzregionen
Böhmens durch die Lande zogen, wurden gleich nach dem Münchner Abkommen im
September 1938 von den Nationalsozialisten verfolgt, wie Jana Horvathova
vom Roma-Museum in Brno-Brünn erläutert:
"Sinti lebten bei uns und zogen ebenso herum wie die böhmischen
Roma. Nach München 1938 und auch nach dem Anschluss Österreichs kamen Roma
und Sinti aus diesen Gebieten, in denen sie bedroht waren, ins
Landesinnere. Es gibt Artikel in damaligen Zeitungen darüber, dass zum
Beispiel tausende Roma an der Elbe auftauchten - und das waren gerade die
Sinti, die vor Hitler flüchteten. Sie hatten hier aber keine Wurzeln, und
der Öffentlichkeit hat diese Zunahme der Roma überhaupt nicht
gefallen."
Tschechische Behörden gingen damals sogar soweit, die ungebetenen Gäste
wieder über die Grenze zurück zu schicken. Nach dem Einmarsch der
Wehrmacht in die so genannte Resttschechei im März 1939 waren auch die
tschechischen Roma direkt bedroht.
"Im Protektorat wurde im November 1939 das Herumziehen verboten. Wer
sich bis Ende Januar 1940 nicht niedergelassen hatte, wurde in Arbeitslager
gesteckt, die zunächst für so genannte Arbeitsscheue eingerichtet wurden -
darunter waren Tschechen und auch einige Roma."
In der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar 1940 befanden sich viele
Romafamilien in einer unlösbaren Situation: einerseits mussten sie sich
niederlassen, andererseits weigerten sich die meisten Gemeinden sie
aufzunehmen. Die Situation musste das Innenministerium lösen, indem es den
Gemeinden anordnete, die Roma aufzunehmen. In Mähren sah die Lage anders
aus: der Großteil der hiesigen Roma hatte sich bereits vor Jahrhunderten
niedergelassen, so Jana Horvathova:
"Wir wissen nicht genau, warum, aber während die böhmischen Roma in
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch das Land zogen, hatten sich
die mährischen Roma vor allem in Südmähren niedergelassen. Vielleicht
liegt es daran, dass dies eine sehr fruchtbare Gegend ist. Hinzu kam, dass
zwei Adelsgeschlechter - die Kounic´ und Liechtensteiner, die Roma seit
Ende des 17. Jahrhunderts auf ihrer Herrschaft geduldet haben. Aber das
Niederlassen hatte zur Folge, dass sich die Roma hunertprozentig
assimilierten, sie unterbrachen den Kontakt zu anderen Roma, haben ihre
typische Kleider abgelegt und die Sprache vergessen. Die Toleranz ging
also Hand in Hand mit der Assimilierung. Später kamen weitere Familien aus
Ungarn, die aber nicht mehr erwünscht waren. Sie haben sich trotzdem auf
eigene Faust niedergelassen, was aber immer mit einem Kampf mit der
entsprechenden Gemeinde verbunden war. Deshalb entstanden die mährischen
Romasiedlungen immer außerhalb des Dorfes."
Im Frühjahr 1940 ließen die deutschen Besatzer ein genaues Verzeichnis
aller im Protektorat lebender Roma aufstellen: 6.500 Namen befanden sich
auf diesem. Ein weiterer Schritt zur Verfolgung der Roma war die
Errichtung der Arbeitslager im Sommer 1940 im südböhmischen Lety und
mährischen Hodonin, wo zunächst nur Männer inhaftiert wurden. Dies änderte
sich jedoch mit der Zeit, erklärt Jana Horvathova:
"Erst ab Sommer 1942, als die Lösung der Rassenfrage offen verfolgt
wurde, gab es die so genannten Zigeunerlager in Lety und Hodonin und dort
wurden auch Roma, die sich niedergelassen hatten, interniert, und dies
wegen geringsten Verstößen. Zuvor waren die Arbeitslager nur für
erwachsene Männer gewesen, jetzt wurden ganze Familien inhaftiert. Es
stimmt aber, dass in diese Lager vor allem Familien kamen, die
irgendeinen, wenn auch noch so kleinen Konflikt mit dem Gesetz hatten. Die
anderen - und das war die Mehrheit- blieben in Freiheit und wurden 1943
direkt nach Auschwitz deportiert."
Jeweils 1.300 Roma waren in den beiden Lagern inhaftiert - darunter auch
die Eltern von Cenek Ruzicka:
"In Lety waren meine Mutter und mein Vater und jeweils ihre gesamte
Familie. Das Lager war ungefähr neun Monate in Betrieb und diente als
Transitstation für die anderen KZs wie Auschwitz. Die tschechischen
Aufpasser haben sich nicht gerade gut zu den Roma benommen, so dass laut
offiziellen Angaben 326 dort gestorben sind. Meine Mutter ist zum Glück
nach dem Krieg wiedergekommen, als einzige ihrer Familie - sie hat vier
KZs überlebt, auch mein Vater hat überlebt. Kurz nach dem Krieg haben sich
meine Mutter und mein Vater kennen gelernt und ich bin ihr erstes
Kind."
"Vielleicht wissen Sie, dass kurz nach dem Krieg ein Gesetz über
Entschädigungen erlassen wurde - wer aus einem KZ kam, konnte beim
Verteidigungsministerium eine entsprechende Bestätigung beantragen. Nur
die Roma wussten nichts davon - denen hatte keiner was gesagt. Mein Vater
erfuhr dies erst 1971 und ich auch. Seitdem widme ich mich diesen
Entschädigungsfragen."
begründet Cenek Ruzicka sein Engagement im Komitee zur Entschädigung von
Opfern des Roma-Holocaust. Der Kampf ist noch längst nicht gewonnen,
ebenso wie der für ein würdigeres Erinnern an die beiden ehemaligen
"Zigeunerlager" in Lety und Hodonin.
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