"Wir müssen nur den Mut haben, die Wahrheit zu sagen." Die
Auseinandersetzung der Tschechen mit dem Roma-Holocaust steht noch ganz am
Anfang
Während das frühere Konzentrationslager Terezin/Theresienstadt, Symbol vor
allem für den Holocaust an den Juden, heute in Tschechien"nationale
Gedenkstätte" und obligatorische Station für Politiker aus dem In-
und Ausland ist, erinnert in den beiden früheren Roma-Konzentrationslagern
nichts an eine Gedenkstätte. Ganz im Gegenteil: Auf dem Areal des früheren
KZ im mährischen Hodonin befindet sich ein Erholungszentrum, in Lety,
Südböhmen, sogar eine Schweinefarm. Warum eigentlich tun sich die
Tschechen so schwer mit dem Gedenken an die Roma, die dem Holocaust zum
Opfer gefallen sind?
Eine Roma-Gedenkfeier im südböhmischen Lety für die Opfer des Holocaust.
Auf dem provisorischen Friedhof, rund 150 Meter vom ehemaligen
Konzentrationslager entfernt, haben sich etwa 120 Menschen versammelt,
dort wo der damalige Präsident Vaclav Havel 1995 ein Mahnmal erreichten
ließ.
Auf dem Lagergelände selbst befindet sich eine Schweinefarm mit 14.000
Tieren. Damit der Gestank nicht zum Friedhof herüberzieht, haben die
Betreiber die Belüftung ausgeschaltet. Dennoch sei dies ein unwürdiger Ort
für die Opfer des Holocaust, sagt Cenek Ruzicka, der seinen Großvater und
seinen Bruder im KZ Lety verloren hat und heute Vorsitzender des Komitees
zur Entschädigung des Roma-Holocausts ist:
"Schon seit zehn Jahren gibt es diesen unglaublichen Streit darüber,
ob der Opfer des Rassenhasses würdig gedacht werden kann. Doch allen
Bemühungen zum Trotz ist die Farm immer noch in Betrieb. Das zeigt, wie
kompliziert das Verhältnis zwischen Tschechen und Roma bis heute
ist."
Dass die tschechische Regierung bislang nichts unternommen hat, liegt auch
an den Kosten, die ein Abriss der Farm verursachen würde: nach Schätzungen
zwischen 17 und 27 Millionen Euro. Doch egal wie hoch die Summe auch wäre,
der Kern des Problems liegt woanders, meint Petr Pithart, Vizepräsident der
oberen Parlamentskammer Tschechiens:
"Die öffentliche Meinung bringt nicht entschieden genug zum Ausdruck,
dass die Schweinefarm sie stört. Wenn das die Öffentlichkeit wirklich
stören würde, dann würde jede Regierung schnell und gerne die nötigen
Gelder aufbringen. Wir müssen endlich die Opfer des Roma-Holocausts als
unsere eigenen Toten begreifen."
Über 1300 Roma waren seit August 1942 in Lety interniert. Diejenigen, die
überlebten, wurden 1943 zum großen Teil in Vernichtungslager deportiert.
Nur knapp 10 Prozent der insgesamt 6500 Roma aus dem Protektorat Böhmen
und Mähren haben den Holocaust überlebt. Traurige Fakten, die der
tschechischen Gesellschaft bis 1989 komplett unbekannt waren. Selbst für
aufgeklärte Dissidentenkreise war der Holocaust an den Roma während des
Kommunismus ein weißer Fleck. Petr Uhl, Mitgründer der
Bürgerrechtsbewegung Charta 77:
"Wir haben das erst nach November 1989 gelernt überhaupt. Wir haben
in der Schule ein wenig über den Holocaust an den Juden gelernt. Sehr
wenig, aber immerhin. Aber über den Genozid an den Roma haben wir kein
Wort verloren in der Schule."
Und selbst Ende der 1990er Jahre noch wurde das Thema Roma-Holocaust
hierzulande lieber verschwiegen, schildert Petr Uhl seine Erfahrungen als
Menschenrechtsbeauftragter der tschechischen Regierung in den Jahren
1998-2001. Sein Bemühen um eine Beseitigung der Schweinefarm in Lety sei
damals bei der Regierung auf taube Ohren gestoßen, so Uhl:
"Es gab damals wenig Geld. Aber hauptsächlich war es eine Tendenz,
darüber nicht zu sprechen, sondern zu schweigen, weil das unsere Schuld
war."
Kein leichtes Gedenken: Während für den Holocaust an der jüdischen
Bevölkerung im Protektorat Böhmen und Mähren ohne Einschränkungen die
Nazis verantwortlich waren, lässt sich im Falle des Genozids an den Roma
die Mitschuld der Tschechen nicht von der Hand weisen. So habe die
tschechoslowakische Nationalversammlung bereits 1927, also lange vor der
nationalsozialistischen Okkupation, ein Gesetz erlassen, das den Roma das
Vagabundieren verbot, erinnert Uhl. Damit war die Tschechoslowakei der
erste Staat in Europa, dessen Regierung eine systematische Diskriminierung
der Roma einleitete. Und während des Krieges seien tschechische Aufseher im
Lager Lety für den Tod der internierten Roma mitverantwortlich gewesen.
Genau in dieser Mitschuld liegt für Petr Uhl der Kern des Problems:
"Bei uns hat man bis heute nicht die Wahrheit über die Kollaboration
mit dem Nazi-System gemacht. Und deshalb brauchen wir keine juristischen
Schritte. Wir müssen nur den Mut haben, die Wahrheit zu sagen."
Obwohl die Zahl der Opfer, die im Konzentrationslager Lety ums Leben
kamen, inzwischen bekannt ist, hält es der heutige tschechische Präsident
Vaclav Klaus dennoch nicht für nötig, dass in Lety eine Gedenkstätte
entsteht. Denn Lety, so sagte Klaus kürzlich in einem Interview, sei gar
kein KZ im "eigentlichen Sinne" gewesen.
Klaus reagierte damit auf eine Resolution der Europäischen Union von Ende
April. Darin hatte die EU die tschechische Regierung zur Beseitigung der
Schweinefarm aufgefordert. Für Klaus eine unzulässige Einmischung in
innere Angelegenheiten. Ganz anders sieht das Milan Horacek. Der gebürtige
Tscheche vertritt die deutschen Grünen im Europaparlament. Und genau dort
hat er in einer Ausstellung über die Geschichte des KZ Lety informiert.
Den Protest der EU hält Horacek für dringend geboten:
"Einmischung ist unbedingt erwünscht, wenn es um Menschenrechte geht.
Man kann das kritisieren, dass das Thema jetzt politisiert wird. Aber wie
anders soll man das problematisieren?"
Auch nach Meinung von Katerina Jacques aus dem Büro des
Menschenrechtsbeauftragten der tschechischen Regierung sind jetzt die
Politiker gefragt. Denn für Jacques steht fest:
"dass die Gesellschaft eigentlich roma-feindlicher ist als die
Regierung. Da würde ich sagen, ist die Regierung tatsächlich das Vorbild
und kann sich nicht auf den Druck der Gesellschaft berufen. Das ist für
mich klare Sache, dass wir da gegen die öffentliche Meinung laufen werden
und das ist auch richtig so."
Noch scheint die öffentliche Meinung überwiegend gleichgültig gegenüber
dem Holocaust an den Roma. Doch es gäbe auch Signale für eine
Verbesserung, meint der Publizist Markus Pape, der sich seit Jahren für
die Belange der Roma einsetzt:
"Wir sehen Anzeichen, dass sich in der Öffentlichkeit mehr
Verständnis bildet für dieses Problem - und für das Vorhaben, dieses
Problem zu lösen. Es gibt Meinungsumfragen, und jetzt haben schon 40
Prozent der Bevölkerung gesagt, dass sie einverstanden wären, wenn die
Schweinefarm verlegt wird, um hier eine würdige Gedenkstätte zu errichten.
Und das ist schon ein großer Fortschritt."
Und vielleicht geben ja auch die jüngsten Entwicklungen auf politischer
Ebene Anlass für vorsichtigen Optimismus: Das tschechische Kabinett gab am
Mittwoch bekannt, es wolle mit dem Besitzer der Schweinefarm verhandeln und
gemeinsam mit dem Menschenrechtsbeauftragten der Regierung und
Roma-Organisationen nach einer geeigneten Lösung suchen.
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