Gedenken an die Opfer Holocaust in Tschechien
Auch diesen Freitag heißt es wieder: Im Spiegel der Medien. Heute mit
dem Tag zum
Gedenken der Opfer des Holocaust. Im Studio sind für Sie Daniel Satra und
Markéta Maurová.
Im November vergangenen Jahres hatte das tschechische Abgeordnetenhaus
beschlossen, dass der 27. Januar - der Tag, an dem die Roten Armee das KZ
Auschwitz befreite - als Gedenktag an die Opfer des Holocaust auch in
tschechischen Kalendern vermerkt sein sollte. 14 europäische Staaten haben
diesen Tag bereits zum Anlass für ihr Gedenken genommen, und auch Israel
zollt diesem Datum seit diesem Jahr besondere Aufmerksamkeit.
Vergangene Woche, kurz vor dem ersten offiziell geplanten tschechischen
Gedenktag, hat der Senat den Gesetzesentwurf über diesen und andere
Gedenk- und Feiertage jedoch zurückgewiesen, es bestehe noch
Bearbeitungsbedarf.
Der stellvertretende Chefredakteur der Lidové Noviny Jaroslav Plesl,
schreibt, warum ein Gedenken an die Opfer des Holocaust auch in Tschechien
notwendig ist: "Um zu warnen!", so Plesl schon in der
Überschrift. Seine Warnung eröffnet er mit einem erschreckenden und
beeindruckenden Beispiel, Zitat:
"Die Juden sollten aufhören, so zu tun, als seien sie die Opfer des
Holocaust'. Das denkt jeder dritte Europäer, so das Ergebnis einer
soziologischen Studie im Auftrag der italienischen Tageszeitung Corriere
della Sera in neun westeuropäischen Staaten."
Grund genug für Plesl das Gedenken europaweit aufrecht zu erhalten und zu
fördern, nur so könne man gegen die "antisemitische Welle in
Europa" ankommen. Weiter schreibt Plesl:
"In Tschechien gibt es zudem einen wichtigen Grund, warum auch wir
hier gemeinsam mit 14 anderen Staaten in Europa der Opfer des Holocaust
gedenken sollten. Denn wir würden uns nicht allein die Erinnerung an die
Ermordung tschechischer Juden ins Gedächtnis zurückrufen, sondern auch die
Ermordung der Roma und der Homosexuellen, beides Minderheiten, die auch
heute oft zur Zielscheibe von Hassattacken und sogar Gewalttaten
werden."
Nach wie vor seien in Tschechien die Wissenslücken groß, wenn es um den
Holocaust und seine Opfer gehe. Über den Roma-Genozid seien erst nach 1989
nachhaltige Informationen ans Tageslicht der Öffentlichkeit gedrungen, die
Ermordung Homosexueller zur Zeit des Protektorats Böhmen und Mähren sei
gar bis in die Gegenwart nicht auf der Agenda eines öffentlichen Diskurses
anzutreffen.
Auch Tomás Jelínek, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Prag, ist von
Sinn und Notwendigkeit des staatlichen Gedenktages überzeugt. Zu Radio
Prag sagte er:
"Es geht um ein gewisses Aufrechterhalten der gesellschaftlichen
Erinnerung. Und Bestandteil einer solchen Kultur sind insbesondere
Gedenktage. Ich sehe dabei als grundlegend an, dass neben dem Pietätsteil
das Hauptaugenmerk auf die Jugend gerichtet ist. In der Tschechischen
Republik gibt es heute bereits eine ganze Reihe von Programmen, die sich
damit auseinandersetzen. Und alle haben sie Eines gemeinsam: Sie wollen
die Jugend dazu bringen, sich mit dem Leid der Menschen im Zweiten
Weltkrieg zu befassen."
Die Jugend ist es auch, die nach Ansicht Jelíneks den entscheidenden
Beitrag dazu leisten muss, das Andenken an die Opfer aufrechtzuerhalten.
Dazu gehört es auch die Erinnerung an die grenzenlose Gewalt, die sich
gegen Juden, Roma und andere Bürger der Tschechoslowakei richtete, nicht
verblassen zu lassen. Denn, so warnt Jelínek:
"Hier gibt es eine marginale aber vitale Gruppe Jugendlicher, die
sich mit Verleugnungsliteratur und -argumentation beschäftigt, und die
zudem Material verbreitet, das das Ermorden der Juden in Europa während
des Zweiten Weltkriegs in Frage stellt. Diese beiden Gruppen werden - wie
immer schon in der Geschichte - miteinander konkurrieren. Und die erste
Gruppe, die an Masaryk zur Zeit der Justizaffäre gegen den Juden Leopold
Hilsner anknüpft, soll langfristig den Sieg davontragen, und dies auch mit
der Unterstützung tschechischer Eliten."
Das war Tomás Jelínek, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Prag.
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