Geschichte der Roma auf dem Gebiet der Tschechischen Republik
Die genaue zeitliche Definition der Ankunft der Roma auf dem Gebiet der
heutigen Tschechischen Republik ist nur schwer möglich, da
zeitgenössische Chroniken über ihr Auftauchen nichts Konkretes und
Klares aussagen. In der Chronik des sogenannten Dalimil erwähnt der
Autor im Kapitel "Von den heidnischen Kartasiern" tatarische
Kundschafter, die sich nach dem Jahr 1242 in den böhmischen Ländern
bewegten und mit Roma verwechselt werden konnten. Einschlägige
Forschungen bestätigten diese Annahme jedoch nicht.
Eine weitere Erwähnung über Roma auf tschechischem Territorium stammt
vom Ende des 14. Jahrhunderts, als im Hinrichtungsbuch der Herren von
Rosenberg die Aussage eines Verurteilten erschien, der als Mitschuldigen
einen "schwarzen Zigeuner" bezeichnete. Diese Erwähnung ist
wahrscheinlich authentisch, denn tatsächlich gelangten die Roma im 14.
Jahrhundert nach Mitteleuropa. Zahlreiche Historiker bezeichnen diese
Epoche als "goldenes Zeitalter" der Roma in Europa, als die Roma von
Aristokraten empfangen wurden, Schutzbriefe und verschiedene Privilegien
bekamen. Ein tatsächlicher Beweis für die Anwesenheit der Roma auf
tschechischem Gebiet ist ein Schutzbrief, der am 17. April 1423 auf der
Zipser Burg vom römischen Kaiser und böhmischen König Sigismund erteilt
wurde. Der Text des Schutzbriefes ist erhalten geblieben und lautete
folgendermassen:
Wir, Sigismund, König von Ungarn, Böhmen, Dalmatien, Kroatien ..., Uns
hat der treue Ladislav, Führer seines zigeunerischen Volkes, demütig um
die Bestätigung unserer besonderen Nachsicht ersucht. Empfangt deshalb
sein ehrbares Ansinnen und lehnt diesen Brief nicht ab. In solchem
Falle, da Ladislav mit seinen Leuten an irgendeinem Ort unseres
Kaiserreichs erscheint, in Stadt oder Dorf, empfehlen wir, ihm Treue zu
bezeugen, die Ihr hiermit auch Uns bezeugt. Gewährt ihnen Schutz, damit
Ladislav und sein Volk sich unversehrt hinter Euern Mauern aufhalten
können. Wenn sich unter seinem Volk jemand betrunkener findet, wenn
jemand einen Streit jedwelcher Art hervorruft, wollen Wir und ordnen an,
dass nur Ladislav allein, der Fürst, das alleinige Recht hat, Recht zu
sprechen, zu bestrafen, Vergebung zu sprechen, ihn aus Eurem Kreis
auszuschliessen...
Diesen Schutzbrief nahmen die Roma mit sich bis nach Frankreich, und
weil er in Böhmen (La Boheme) und vom böhmischen König (roi de Boheme)
verfasst war, bezeichnete das französische Volk die Neuankömmlinge nach
dem Land, aus welchem sie kamen, also Les Bohemiens, Bewohner von
Böhmen.
Zuerst bemerkte die Kirche, dass die Roma nicht Gottes Diener waren. Sie
begann auch mit ihrer Verfolgung, worin sie bald Unterstützung von der
weltlichen Macht erhielt, die in den Roma türkische Kundschafter
erblickte. Im Jahre 1427 wurden sie vom Pariser Erzbischof
exkommuniziert, und die Haltung der Bevölkerung ihnen gegenüber änderte
sich radikal. Es begannen vier Jahrhunderte grausamer Diskriminierung.
Die Herrscher der einzelnen Länder begannen, Erlasse herauszugeben, in
welchen sie die Roma aus ihren Ländern auswiesen. Wurden sie gefangen,
drohte ihnen Folter, Verstümmelung und dann die Hinrichtung. Die grösste
Verfolgung in Tschechien geschah im Jahre 1697, als die Roma durch ein
kaiserliches Dekret als vogelfrei erklärt wurden. Jeder konnte einen
Roma erschiessen, erhängen oder ertränken. Die Ermordung von Roma wurde
nicht als Verbrechen betrachtet.
Die Verfolgung der Roma am der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit
gehört zu den dunkelsten Seiten der europäischen Geschichte. Europa
akzeptierte sie praktisch nie, was teilweise in ihrer Andersartigkeit
begründet war, teilweise auch dadurch, dass sie ihre Nahrung auf ihren
Wanderungen oft durch Diebstahl besorgten, was als Argument für ihre
Verfolgung diente. In den ersten Jahrhunderten versuchten sie der
Ablehnung durch die Wanderung in neue Gebiete zu entkommen, wo sie noch
nicht bekannt waren. Das Leben der Roma war nie einfach, immer gehörten
sie zu den ärmsten Bevölkerungsgruppen und Europa, das sich christlich
nannte, verhielt sich ihnen gegenüber nicht sonderlich christlich.
In Mittel- und Südosteuropa herrschte eine etwas andere Situation als in
Westeuropa. Die türkische Expansion, die die Grenze des osmanischen
Reichs im 16. und 17. Jahrhundert bis zum Gebiet der Südslowakei
ausdehnte, schuf eine Situation, wo beide kämpfenden Parteien
verschiedene Dienste der lokalen Bevölkerung, darunter auch den Roma, in
Anspruch nahmen (ausser Befestigungs- und Bauarbeiten vor allem die
Dienste der Schmiede der Roma).
Aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts existieren Nachrichten
darüber, dass einige Städte Schmiedefamilien der Roma das Wohnrecht
gewährten. Familien begabter Musiker fanden Aufnahme auf den Territorien
musikliebender ungarischer Feudalherren. In Ungarn bildete sich damit
die Grundlage sesshaften, kontinualen Lebens der Roma-Bevölkerung. Die
Verfolgung der Roma in Oesterreich beendete erst Mitte des 18.
Jahrhunderts Maria Theresia.
Ihre Erlasse zielten auf die Assimilation des Roma-Ethnikums ab. Die
Kaiserin war sich bewusst, dass hinsichtlich des Lebensniveaus zwischen
Roma und übriger Bevölkerung enorme Unterschiede bestanden, und bemühte
sich deshalb, die Roma an ein Territorium zu binden. Sie verbot das
Fahren und den Gebrauch der Roma-Sprache. Sie erlaubte nur amtliche
Ehen, zwang sie zu anderer Bekleidung, nahm ihnen die Kinder weg und
vertraute sie Familien der übrigen Bevölkerung zur Umerziehung an. Ueber
die Situation der Roma in Ungarn zur Regierungszeit von Maria Theresia
ist die Schrift Ab Hortise erhalten geblieben, die sehr genau alles
beschreibt, was mit den Roma zusammenhing. Dieses zeitgenössische
Dokument hat einen interessanten Aussagewert. Die Erlasse von Maria
Theresia mögen aus heutiger Perspektive inhuman erscheinen, doch begann
sie, die Roma als existierendes Element der Bevölkerung zu behandeln.
In der Zeit von Maria Theresia und Josefs II. wechselte auf unserem
Territorium (vor allem aber in der Slowakei) eine grosse Zahl von Roma
auf eine halbfahrende Lebensweise oder wurde ganz sesshaft. Sesshaft
wurden vor allem Ziegelbrenner, Kesselbauer, Schmiede, Musiker und
weitere Handwerker, die die Erlaubnis erhielten, für eine Gemeinde zu
arbeiten.
Die Erlasse von Josef II. zielten mehr auf die Bildung der Roma und ihre
Konvertierung zum Christentum ab. In dieser Hinsicht eilte dieser
Herrscher seiner Zeit voraus. Die Ergebnisse dieses Bemühens
manifestierten sich vor allem in Böhmen und Mähren, wo die Roma beinahe
an die Bevölkerung assimiliert werden konnten.
Nach dem Ende des 19. Jahrhunderts begannen sich die Unterschiede
zwischen Tschechen und Roma zu vergrössern. Schulpflicht und
Fabrikarbeit führten zu einer Veränderung der Mentalität der
tschechischen Gesellschaft, während die Roma stagnierten. Aus einem Volk
geschickter Handwerker und begabter Musiker wurde im Verlauf der
Industrialisierung, der sich die Roma nicht schnell genug anpassen
konnten, eine sozial zurückgebliebene Bevölkerungsgruppe. Vor dem Ersten
Weltkrieg waren praktisch alle erwachsenen Roma Analphabeten, und im
Hinblick auf die Diskriminierung, der sie von der "weissen" Bevölkerung
ausgesetzt waren, fehlte ihnen auch die Motivation zur Bildung, denn
auch gebildete Roma fanden in der Gesellschaft praktisch keine
Anerkennung.
Die Erste Republik bemühte sich um die Lösung der "Frage der Zigeuner"
im Jahre 1927 mit dem Gesetz über die Fahrenden. In der Praxis bedeutete
dies, dass jeder um eine Bewilligung zur Nächtigung ansuchen musste. Das
Ziel bestand darin, die Lebensweise der Roma zu "zivilisieren", doch das
Gesetz engte die Roma sehr ein und verweigerte ihnen einen Teil der
Bürgerrechte, so dass es zum Ausdruck der abweisenden Haltung der
damaligen Gesellschaft gegenüber dieser ethnischen Gruppe insgesamt
wurde. Das Gesetz blieb während der ganzen Zeit vor dem Münchner
Abkommen in Kraft, sowie auch noch einige Zeit nach dem Zerfall der
Tschechoslowakei.
Die grösste Tragödie für die Roma war der Zweite Weltkrieg, als sie nach
der nazistischen Rassentheorie als minderwertige Rasse galten. Die
ehemaligen tschechoslowakischen Roma, die nach diktierten
Grenzverschiebungen im Herbst 1938 in den besetzten Grenzgebieten
verblieben, teilten das Schicksal mit den Roma in Hitlerdeutschland und
Horthy-Ungarn.
Praktisch alle "tschechischen" Roma kamen im Verlauf des 2. Weltkriegs
ums Leben. Jedoch diejenigen Roma, die in Böhmen zur Zeit von Maria
Theresia sesshaft geworden waren und den Krieg überlebten, wurden zur
geistigen Elite mit Hochschulbildung (beispielsweise der in Brünn
wohnhafte Karel Holomek aus dem mährischen Geschlecht Holomek).
Im Sudetenland wurden alle Roma schnell auf speziellen Listen erfasst
und darauf zusammen mit deutschen Roma ins Zigeunerlager Auschwitz
II-Birkenau deportiert. Im Protektorat sollten nach einem
Regierungserlass vom 2. März und 28. April 1939 Arbeitslager
eingerichtet werden für alle Personen, die älter als 18 Jahre waren,
keiner geregelten Arbeit nachgingen und keine geordnete eigene
Versorgung nachweisen konnten. Solche Lager wurden in Böhmen in Lety
(Bezirk Pisek), in Mähren im Hodonin (Bezirk Blansko) eingerichtet.
In den Jahren 1942 bis 1944 wurden insgesamt 14 Transporte von Roma nach
Auschwitz durchgeführt. Die Roma wurden in die zweiten Sektion des
Lagers Auschwitz-Birkenau (Brzezinka) verbracht, und das sogenannte
Zigeunerlager im siebten Block bedeutete das Ende für praktisch alle
tschechischen Roma.
In der Süd- und Ostslowakei waren die Roma der Verfolgung der
ungarischen Amtsstellen ausgesetzt, was in die Deportation einzelner
Roma ins Konzentrationslager Dachau mündete.
In der Slowakischen Republik, die am 14. März 1939 zum selbständigen,
unter dem Schutz des Deutschen Reiches stehenden Staat ausgerufen wurde,
verwirklichte das faschistische Regime die Verfolgung in weniger
drastischem Masse. Auf Grund der früher vorbereiteten Erlasse der
tschechoslowakischen Regierung über die Errichtung von Arbeitslagern
wurden in der Slowakei Arbeitslager zur vorübergehenden Konzentration
sogenannter Asozialer und Roma eingerichtet. Die slowakischen Roma waren
diversen Diskriminierungsmassnahmen ausgesetzt: Sie durften nicht mit
öffentlichen Verkehrsmitteln reisen, in Städten und Gemeinden durften
sie sich nur an ausgewählten Tagen und zu ausgewählten Stunden
aufhalten.
Die Unterdrückung der sogenannten Unordnung der Zigeuner begründeten die
Nazisten damit, dass die Roma Straftaten begingen, sich nur schwer an
die traditionellen Lebensformen gewöhnten und einer minderwertigen Rasse
angehörten, die es auszurotten gelte. Die Absicht der Zigeunerlager des
Protektorats bestand darin, die Welsch-Roma und "Asoziale" samt ihren
Familienangehörigen zu internieren. Das Zigeunerlager in Auschwitz war
auf die Auslöschung der Roma-Bevölkerung insgesamt angelegt. Die
Schlussbilanz legt nahe, dass die Unterdrückung der sogenannten
Unordnung der Zigeuner in der Terminologie der Faschisten
gleichbedeutend war mit fortschreitendem Morden, dessen Ziel die
Liquidation der gesamten ethnischen Gruppe der Roma war.
Die Nazisten machten sich an den Roma des Genozids, eines der schwersten
Verbrechen gegen die Menschlichkeit, schuldig. Der Prozess der
allmählichen Anpassung an die sie umgebende Gesellschaft und letztlich
das Verschmelzen mit ihr, der in der Zwischenkriegszeit eingesetzt
hatte, wurde dadurch abgebrochen und die Roma in die früheren Geleise
der sozialen Distanzierung und Isolation zurückgeworfen.
Die ursprüngliche tschechische Roma-Bevölkerung wurde fast ganz
ermordet. Während vor dem Krieg auf tschechischem Boden rund 8000
Roma-Angehörige wohnten, waren es nach dem Krieg kaum mehr 600. Doch
kamen aus Ungarn und Rumänien zahlreiche Roma in die Tschechoslowakei,
und weitere Roma, die in Siedlungen in der Ostslowakei wohnten,
wanderten in die tschechischen Grenzgebiete ein und wurden als billige
Arbeitskräfte in die Industriegebiete Böhmens und Mährens zerstreut. Die
Ueberschätzung materieller Faktoren (es wurde nämlich davon ausgegangen,
dass sich mit der Verbesserung der materiellen Bedingungen auch die
Mentalität und das geistige Leben der Roma ändere) führte aber dazu,
dass die unternommenen Anstrengungen nicht die erhofften Resultate
erbrachten. Im Gegenteil kam es zur Degradation innerhalb der
Roma-Kommunität, denn die gewaltsame Unterbrechung ihres Lebens in
Gemeinden und die Versetzung in unbekannte Bedingungen, ohne
Respektierung ihrer Spezifika, führte zu einem Zerfall der
traditionellen Wertordnung der Roma und zur Störung ihres traditionellen
Familienlebens. Das allmähliche Verschwinden traditioneller Erwrbsformen
der Roma sowie der Bevölkerungszuwachs führten zu einer Vertiefung ihrer
Armut und sozialen Rückständigkeit, und damit zu wachsender
Kriminalität.
Im Jahre 1958 wurde ein Gesetz über die dauerhafte Ansiedlung der
Fahrenden verabschiedet, das besagte, dass die lokalen Behörden
Personen, die eine fahrende Lebensform pflegten, beim Uebergang zu einem
sesshaften Leben behilflich sein sollten. In der Praxis führte dieses
Gesetz jedoch dazu, dass die Polizei beispielsweise straflos den
Wohnwagen die Räder entfernen und den Fahrenden Roma die Pferde
wegnehmen konnte, und dass die Roma an Orten sesshaft werden mussten, wo
ihnen Arbeit zugeteilt war, unabhängig von ihren familiären Banden.
Im Jahre 1965 wurde weiter ein Gesetz zur Zerstreuung der
Zigeunerbevölkerung angenommen, welches besagte, dass die
ostslowakischen Roma aus ihren Dörfern nach Böhmen und Mähren wandern
mussten. Die Roma gelangten so aus ihren Hütten mit Lehmboden in
Wohnungen mit Türen, Warmwasser und Spültoiletten.
Die staatliche Sozialpolitik ging mit den Roma wie mit einer sozial
zurückgebliegenen Bevölkerungsgruppe um, und die staatlichen Massnahmen
beschränkten sich nur auf verschiedene Formen von Sozialhilfe, die den
Roma das Ueberleben ermöglichten und sie in der Haltung bestärkten, sich
ganz auf den Staat und nicht eigene Tätigkeit zu verlassen. Diese
verschiedenen Formen staatlicher Unterstützung, die die Roma in vielen
Bereichen bevorteilten, führten zu Konflikten und Ressentiments in der
"weissen" Bevölkerung sowie förderten die Unselbständigkeit der Roma und
ihre Unfähigkeit, ihre Situation selbständig zu bewältigen. Damit kaufte
sich der Staat ihr Schweigen, denn die Roma beklagten sich nicht,
verlangten keine Lösung ihrer unerfreulichen Situation und akzeptierten
schweigend die Unterstützung.
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